Was dem Pfarrer Brigel von Gerichtstetten auf dem Weg zwischen Pülfringen und Erfeld widerfuhr.
Ein Vorfall aus dem Jahre 1710
Am 4. November 1710 ereignete sich in dem Wäldchen zwischen Pülfringen und Erfeld ein Vorfall, der in der ganzen Gegend das größte Aufsehen erregte und in seinen Folgen zu Auseinandersetzungen zwischen der Churmainzischen und der Fürstbischöflichen Regierung zu Würzburg führte. Wir finden in alten Gerichtsakten aus dem Würzburger Ordinariats Archiv den Vorgang und erzählen ihn, wie er sich nach den Akten darstellt.
Auf den genannten Tag hatte der Herr Pfarrer zu Pülfringen Besuch von seinem Bruder aus Aschaffenburg erhalten und hatte, um seinen Bruder mit den Nachbargeistlichen bekannt zu machen, diese auf den 4. November zu einem „Dies“ in das Pfarrhaus nach Pülfringen eingeladen. Der Einladung wurde Folge geleistet durch die Pfarrer von Dittwar, Gissigheim, Schweinberg, Bretzingen, Berolzheim und Gerichtstetten. Alle genannten Pfarrorte waren um jene Zeit Würzburgisch. Der Pfarrer von Gerichtstetten hieß Johann Conrad Brigel, gebürtig aus Gerlachsheim, seit 1707 Pfarrer in Gerichtstetten. Etwa um 4 Uhr brach der Pfarrer von Berolzheim auf, da er den weitesten Weg nach Hause hatte, und etwa eine Viertelstunde später machte sich Pfarrer Brigel von Gerichtstetten ebenfalls auf den Weg, um, wenn möglich, den Pfarrer von Berolzheim noch einzuholen, da sie beide einen großen Teil des Heimweges gemeinschaftlich gehen konnten. In dem kleinen, heute noch bestehenden Wäldchen zwischen Pülfringen und Erfeld rief Pfarrer Brigel wiederholt laut „hoi, hoi“ um den früher aufgebrochenen Pfarrer von Berolzheim zum Warten aufzufordern. Den Pfarrer von Berolzheim bekam aber Pfarrer Brigel nicht zu Gesicht, wohl aber kam dessen Hündchen hinter ihm dreingelaufen. Nun dachte Pfarrer Brigel: „Da kann auch sein Herr nicht weit entfernt sein“ und ging seines Weges in der Hoffnung, den Konfrater von Berolzheim noch auf dem Wege zu treffen, da sie ja auch den gleichen Weg nach Pülfringen miteinander gegangen waren.
Auf einmal hörte Pfarrer Brigel vor sich auf dem Weg durch das Wäldchen einen „artlichen“ Gesang und glaubte nun sicher, den Pfarrer von Berolzheim vor sich zu haben, da er dessen Art unterwegs zu singen kannte. Aber es waren 4 Personen zu Pferd und zwar 2 Geistliche, darunter der Herr Dechant von Königheim, den Brigel persönlich kannte. Der anderer Geistliche war, wie sich später herausstellte, der Pfarrer von Hundheim. Die beiden anderen Personen waren der Churmainzische Amtsverweser Wallau und der ebenfalls Churmainzische Zehntbereiter Müller, beide von Külsheim. Als Pfarrer Brigel den Dechanten von Königheim erkannte, dachte er sich sogleich, daß die 4 Personen von der Pfarrinvestitur von Altheim kämen. Dort war nämlich am Tage zuvor der Pfarrer Andreas Blau, gebürtig aus Walldürn, investiert worden. Brigel ging ohne irgend ein Arg auf die Reiter zu, um den Herrn Dechanten zu begrüßen und zu hören wie die Sache in Altheim abgelaufen sei. Der Gesang hatte inzwischen aufgehört. Die beiden Beamten ritten voraus und Pfarrer Brigel stand zunächst vor dem Amtsverweser Wallau, er ihm jedoch persönlich nicht bekannt war. Wallau glaubte anscheinend, der vor ihm Stehende wolle ihm überfallen, riß die eine Pistole aus der Satteltasche und richtete sie auf Pfarrer Brigel. Dieser rief ihm sofort zu: „Laßt doch das! Ich bin der Pfarrer von Gerichtstetten,“ und weil er ein Unglück fürchtete, nahm er die andere Pistole aus der linken Satteltasche des Reiters heraus. Der Amtsverweser wollte nichts hören, sondern rief: „Du bist ein Schelm, ein Wegelagerer, ein Vagabund, bist vielleicht ein paar Jahr im Seminario gewesen und treibst dich nun so herum.“ Dabei schlug er mit seinem Degen auf Brigel ein, der mit seinem Stock die Hiebe aufzufangen suchte, so gut es ging. Der Chronist läßt den Bedauernswerten weiter erzählen: „Ich rufte in solcher Gefahr auf die Seite zu den geistlichen Herrn: Sie sind ja auch Geistlich. Und kam mir unterdessen mein Stock aus der Hand, Hut und Kappen vom Kopf, denn es ging mit Pferden schier alles drunter und drüber. Da nun mein Haupt entblößet, kam Herr Amtsverweser mit seinem spanischen Rohr über mich und schlug es so gewaltig über mich drein, daß er mir Kopf und Gesicht, alles hätte zuschanden schlagen können, wann ich nit meinen Arm hingehalten, woran die grausamen Schläg zu sehen waren, und der Baader erst nach gelegtem Geschwulst gefunden, daß die eine Röhre daran entzwei geschlagen.“
Die beiden Geistlichen versuchten vergeblich, Wallau zu beruhigen. Er war wie rasend und rief seinem Begleiter, dem Zehntbereiter Müller zu: „Spalte ihm den Kopf!“ Da Brigel gesagt hatte, er komme von Pülfringen, schleiften Wallau und Müller ihr wehrloses Opfer zwischen den Pferden nach Pülfringen, um es dort im Pfarrhaus einzusperren und dann bei der Weiterreise nach Külsheim mitzunehmen. Der Pfarrer von Pülfringen nahm sich in tatkräftigster Weise seines Amtsbruders an und weigerte sich entschieden, Brigel wieder herauszugeben, worauf Wallau mit Gewalt die Türe des Zimmers zu erbrechen suchte, in welchem Brigel sich in schwerverwundetem Zustand befand. Endlich gelang es dem Pfarrer von Pülfringen durch eine List, Wallau aus dem Haus zu bringen. Er ließ nämlich die in einem Wirtshaus wartenden Begleiter Wallaus bitten, diesem eine Botschaft zu schicken, sie wollten weiterreiten, da sie noch einen weiten Weg nach Külsheim hätten. Daraufhin entfernte sich Wallau aus dem Haus des Pfarrers von Pülfringen, und so war endlich auch Brigel seines Peinigers ledig. Der Pfarrer von Pülfringen verpflegte seinen Mitbruder wie der barmherzige Samaritan, bis Brigel wieder soweit hergestellt war, daß er nach Gerichtstetten zurückkehren konnte.
Nun kam das Nachspiel, das für Wallau einen sehr üblen Ausgang nahm. Er hatte sich eine schwere Verletzung eines Geistlichen zuschulden kommen lassen und war dadurch ohne weiteres der Exkommunion verfallen. Sobald der Überfall bei der bischöflichen Regierung in Würzburg zur Anzeige gebracht worden war, ließ dieser die beteiligten Personen kommisarisch als Zeugen vernehmen. Die Zeugenaussagen bestätigten alle Einzelheiten, die Brigel in seiner Anzeige angegeben hatte. Sofort wandte sich die Würzburgische Regierung an Churmainz, da es sich um einen Churmainzischen Beamten handelte. Aber die Churmainzische Regierung erklärte, sich in keiner Weise einmischen zu wollen, da das Verbrechen auf Fürstlich-Würzburgischem Gebiet begangen worden war. Wallau wurde nach Würzburg vorgeladen und verurteilt, dem Pfarrer Brigel Abbitte zu leisten, 100 Gulden rheinisch als Buße zu zahlen und sämtliche Kurkosten zu übernehmen. Erst dann werde er von der Exkommunikation gelöst werden. Auf seine inständigen Bitten erließ Pfarrer Brigel ihm die Zahlung der 100 Gulden mit Rücksicht auf die Bedürftigkeit der Familie des Amtsverwesers Wallau und begnügte sich mit der Zahlung der Kurkosten und mit der unter Tränen geleisteten Abbitte durch Wallau. Diese Sühne vollzog sich im Pfarrhaus zu Külsheim am 17. Januar 1711. Bei den mir vorliegenden Akten, aus denen die vorstehende Schilderung entnommen ist, befindet sich als Beweisstück das noch ganz mit vertrocknetem Blut befleckte Kollar (Halskragen) des Pfarrers Brigel. Erst nach erfolgter Abbitte wurde Wallau von der Exkommunikation gelöst.
Pfarrer Brigel war im ganzen 39 Jahre Pfarrer von Gerichtstetten, nämlich von 1707 bis 1746. In diesem Jahre wurde er auf sein Ansuchen zur Ruhe gesetzt und zog in seine Heimatgemeinde Gerlachsheim.
Der vorstehend geschilderte Vorfall gibt uns ein Bild der Zustände beim Beginn des 18. Jahrhunderts. Es war die Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs (1701 - 1714), dessen Verwüstungen sich über nahezu ganz Europa erstreckten und der von Ludwig XIV. von Frankreich angezettelt worden war.
Schell, Pfarrer von Gerichtstetten
Vorstehende Geschichte ist entnommen aus:
„Heimatklänge aus dem Frankenland“ Nr. 12 vom Montag den 27. März 1922
Otto Spengler
17. Juli 2010
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