Bericht des Pfarrers Richard Schneider über seine Erlebnisse im Konzentrationslager Dachau
Von Richard Schneider
Vorgeschichte
Pfarrer Richard Schneider, geb. 5. 1. 1893 in Hundheim bei Wertheim, ordiniert am 12. 6. 1921, kam am 1. Mai 1930 als Pfarrverweser nach Beuggen, Dekanat Säckingen, und wurde ein Jahr später als Pfarrer investiert. Die Pfarrei Beuggen bildet politisch die Gemeinde Karsau mit den Weilern Beuggen und Riedmatt. Die größtenteils katholische Gemeinde ist in ihrer religiösen Haltung liberal, besser gesagt wessenbergianisch eingestellt, was nicht wunder nimmt, wenn man weiß, daß Freunde Wessenbergs Pfarrer in Beuggen waren und Beuggen ehemals eine Staatspfarrei war, d. h. durch den Staat besetzt wurde. Durch die angrenzende Industriestadt Rheinfelden beeinflußt, war ein großer Teil der Bevölkerung sozialistisch eingestellt, besonders jener Teil der Bevölkerung, der im Laufe der letzten 20 Jahre zugezogen war. Nur wenige gute Katholiken waren darunter. Ein Lehrer namens Fugazza hatte schon vor 1914 dort die Lehren des Materialismus verbreitet und unter der Bevölkerung statt Bibeln Häckels „Welträtsel" verteilt. Pfarrer Schneider konnte bei Hausbesuchen erleben, daß Männer ihm die „Welträtsel" oder den „Pfaffenspiegel" zeigten mit dem Bemerken: „Das ist mein Evangelium!" Diese zugewanderte Bevölkerung stellte auch zumeist die Anhänger des NS-Systems vor und nach der „Machtergreifung". Zum ersten Zusammenstoß mit diesen kam es anläßlich der Wahl des Reichspräsidenten 1932. In einer Wahlversammlung hatte der Redner die Rassenpolitik des NS besonders behandelt. Durch einen Artikel „Hat Hitler Mongolenblut" informiert, machte Pfarrer Schneider in dieser Versammlung die Bemerkung: „Hitler ist sowenig rassenrein wie die Hunde in Karsau." Das trug ihm die Bekämpfung in der NS-Presse wie den Haß der NS ein, die es ihm nicht verziehen, daß er die NSDAP als die Partei der Faulenzer und Bankrotteure bezeichnete. Begreiflich, daß schon bald nach der „Machtergreifung" das Kesseltreiben gegen Pfarrer Schneider einsetzte. „Der muß aus dem Ort raus", konnte man oft hören. Schon im Mai 1933 kamen die ersten polizeilichen Verhöre. Ein Volksschüler aus einer Nazifamilie, wirklich ein Bankrotteur, behauptete, Pfarrer Schneider hätte in der Schule gesagt, die Schüler sollten sich nicht zu der „Dreck-HJ" begeben. Allein, nach langen Verhören ergab sich, daß nur dieser Schüler so etwas gehört hat. Ein Dorn im Auge war dem Stützpunktleiter, der wie sein Schwiegervater als erste aus der Kirche austraten, der Jungmännerverein. Spitzel bewachten immer dessen Veranstaltungen. Der Versuch, sein Vermögen in die Hand zu bekommen, scheiterte daran, daß Pfarrer Schneider rechtzeitig dessen Besitz auf den Fonds überschrieben hatte, so daß bei der Aufhebung nichts zu „fischen" war. Ebenso erging es der NS-Frauenschaft. Weil Pfarrer Schneider bereits vor 1933 den Frauenverein von Karlsruhe löste und als Elisabethenverein dem Caritasverband der Erzdiözese anschloß, konnte die Schwesternstation nicht in NS-Hände kommen. Den ersten größeren Zusammenstoß mit den NS-Gewaltigen gab es wegen dem Kriegsverein (Kyffhäuserbund). Pfarrer Schneider hatte schon vor 1933 den Auftrag erhalten, diese Kriegerkameradschaft wieder ins Leben zurückzurufen. Als es soweit war, kam das 3. Reich. Der Stützpunktleiter A. wandte sich über den Kreisleiter F. dagegen, daß Pfarrer Schneider die Gründung vornahm, und hatte dafür einen Mann, den Ratsschreiber, vorgeschlagen, der 1913 als Einjähriger bei den 113ern desertiert war, während des Krieges erst aus der Schweiz nach Deutschland zurückkehrte und dann auch straffällig geworden war. Dagegen verwahrte sich Pfarrer Schneider. In diesem Streit wurde der Bezirksleiter des Kyffhäuserbundes, Finanzsekretär Staufenbiel, nach Buchen strafversetzt. Schließlich einigte man sich, daß ein Regimentskollege von Pfarrer Schneider, Fritz Fricker, die Gründung vornahm. Wieder kam es zu neuem Krach, als der Stützpunktleiter Pfarrer Schneider nicht gestattete, einen Lichtbildervortrag über die deutsche Kriegs- gräberfürsorge zu halten, obwohl er in vielen auswärtigen Stellen denselben Vortrag gegeben hatte. Als dabei Pfarrer Schneider die Karten aufdeckte und in einer Sitzung die Kameraden über das Intrigenspiel des Ortsgruppen- und Stützpunktleiters und seines Adjutanten, des benannten Ratsschreibers, informierte, da war der Ratsschreiber nunmehr sein geschworener Feind, dem er offen sagte: „Ich werde Sie vernichten!". Die Nachmission durch Kapuzinerpater Emanuel im Frühjahr 1935 brachte wieder einen Konfliktstoff. Pfarrer Schneider lud durch Hausbesuche die Pfarrkinder dazu ein. Dabei ertappte er die Mutter des früher erwähnten Schülers in einer peinlichen Situation mit einem ihrer Kostgänger, einem 150prozentigen NSler. Dieser zeigte Pfarrer Schneider an, er habe im Beichtstuhl der Frau gesagt, sie solle den „Saukerl" aus dem Hause weisen. Weil Pfarrer Schneider jede Aussage verweigerte, fiel die Sache unter den Tisch, blieb aber in seinen Akten bei der NSDAP. Gegen die Angriffe der NSDAP in Versammlungen gegen Orden, die Kirche und Hierarchie nahm Pfarrer Schneider in Predigten Stellung, besonders auch gegen Goebbels berüchtigte Rede in Münster über die Kirche in Deutschland. Einem Parteiredner in Rheinfelden, der sich als Studienkollege des Pfarrers von Säckingen ausgab, konnte er an Hand von Unterlagen nachweisen, daß er ein wegen § 175 verurteilter und aus dem evangelischen Dienst entlassener Geistlicher ist. Der schlechte Besuch der örtlichen Versammlungen wurde Pfarrer Schneider zugeschrieben. Stützpunktleiter A. sagte deshalb einmal: „Wenn der Schwarze da drunten eine Versammlung einberufen hätte, da wäre der Saal voll!" Einen „schwarzen Strich" zog sich auch Pfarrer Schneider deshalb zu, weil er 1939 im Juli einem Regimentskameraden (F. A. Rgt. 66) und seiner Frau, die getaufte Juden waren, Oberstaatsanwalt Heinzheimer, im Pfarrhaus Wohnung gab, ihm ermöglichte, seine alten Regimentskameraden zu treffen. Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde das Kesseltreiben gegen Pfarrer Schneider noch größer. Es kam auch daher, daß die Postenführer des Grenzschutzes SS-Angehörige waren. Dann wurden die Lehrer zum Militärdienst eingezogen, die zwar Mitglieder des NS-Lehrerbundes waren, aber innerlich der Bewegung fernstanden. An ihre Stelle kamen Lehrer, die eingefleischte NSDAPler waren, z. T. wie Lehrer Mögginger aus der Kirche ausgetreten waren. Sie untergruben in jeglicher Weise die Autorität des Ortspfarrers, hielten die Kinder der Kirche fern usw. Pfarrer Schneider hat in besonderen Berichten der Kirchenbehörde über die Zustände genaue Auskunft gegeben. Mit dem „Heimtücken- und Annahmegesetz" war nunmehr dem neuen Ortsgruppenleiter eine Handhabe gegeben, eher das Ziel zu erreichen gegen Pfarrer Schneider. Dies hat der Ortsgruppenleiter auch öffentlich ausgesprochen. Immer wieder verklagte er Pfarrer Schneider bei der Gestapo. Vornehmlich zeigte er ihn an, weil er an die Soldaten ins Feld schrieb. Angeblich kamen die Briefe aus dem Feld zurück mit einem Protest des Empfängers, daß Pfarrer Schneider geschrieben habe. Schon im Dezember 1939 erhielt er ein Verbot der Gestapo dahin lautend, daß er nicht an die Soldaten schreiben dürfe. Die Antwort darauf war: Pfarrer Schneider schickte zu Weihnachten jedem Soldaten ein Päckchen. Im Januar 1940 erschien die Gestapo im Pfarrhaus und nahm Pfarrer Schneider das Adressenverzeichnis der Soldaten weg, angeblich, er wäre des Landesverrats verdächtig. Nur die Privatadressen von Soldaten ließ man ihm auf seinen scharfen Protest und Widerstand. Im Kampf des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs Dr. Conrad Gröber gegen die NS-Weltanschauung, wie im Kampf der Partei gegen den Herrn Erzbischof, stand Pfarrer Schneider ganz hinter seinem Erzbischof. Dabei schlug er der Gestapo auch ein Schnippchen. Den Hirtenbrief über die Vorgänge in Kloppenburg las er nicht, wie angeordnet, am 2. Adventssonntag vor, sondern bereits zwei Tage vorher, am 8. 12. Und als die Polizei kam und die Verlesung untersagte, konnte Pfarrer Schneider nur antworten: „Sie kommen zu spät; bereits geschehen!".
Verhaftung und Internierung
So war allmählich ein ganzes Bündel im Akt des Pfarrers Schneider bei der Gestapo in Waldshut zusammengekommen. Es bedurfte nur noch weniger Umstände, um endlich mit ihm Schluß zu machen. Den äußeren Anlaß bot eine Sache, die sich Ende Juni Anfang Juli 1940 abspielte. Zwei Jugendliche des letzten Jahrgangs der Christenlehrpflichtigen kamen nicht mehr zur Christenlehre. Pfarrer Schneider begab sich zu dem Vater B. des einen und frug, warum der Sohn nicht mehr zur Christenlehre käme. Er erhielt zur Antwort: „Der ist zur SS gegangen." „Da habe ich Sorge, daß er dort seinem Glauben nicht treu bleibt", erwiderte Pfarrer Schneider. Unter Hinweis, was der Vater dem Sohn gegenüber machen soll, verabschiedete sich der Pfarrer. Anfang Juli begab sich Pfarrer Schneider zur Mutter des anderen Jungen. Zugleich hatte er die unangenehme Aufgabe, dieser Witwe zu kondolieren zum Tode des ältesten Sohnes, der beim Frankreichfeldzug als erstes Todesopfer der Gemeinde zu beklagen war. Er stellte wegen dem zweiten Sohn die gleiche Frage wie bei B. Auf die gleiche Antwort gab Pfarrer Schneider die gleiche Erwiderung an Frau P. „Dafür werde ich sorgen, daß er das nicht tut!", war ihre Antwort. Wie sehr die Befürchtung von Pfarrer Schneider berechtigt war, zeigt, daß dieser junge SS-Mann wirklich auch aus der Kirche austrat. Eine abfällige Bemerkung gegen die SS erfolgte in beiden benannten Fällen nicht. Ende Juli ging im Orte das Gerede um: „Nachstens wird ein hoher Herr geholt." Näheres war nicht zu erfahren. Pfarrer Schneider hatte einen bestimmten inneren Drang, seinen Urlaub in der Heimat bei den betagten Eltern zu verbringen. Er tat es in der ersten Augusthälfte. In seine Heimat bekam er die Nachricht, daß die Gestapo dagewesen wäre, erst bei B. und P., und dann sei sie auch ins Pfarrhaus gekommen. Nun war klar, worum es ging und worauf es hinausging. Er nahm Abschied von seinen Eltern, ohne zu ahnen, daß er den Vater nicht mehr sehen würde, denn er starb im März 1942. Exzellenz Erzbischof Dr. Conrad Gröber wurde von Pfarrer Schneider persönlich über die Sache unterrichtet am 14. 8. 1940. Exzellenz meinte, dafür werde Pfarrer Schneider wie in ähnlichen Fällen eine dreiwöchentliche Haftstrafe bekommen. Als alter Soldat werde er das doch ertragen können. Auf Vorladung auf den 24. 8. 1940 erfolgte bei der Gestapo in Waldshut eine mehrstündige Vernehmung. Dabei ergab sich laut dem vorliegenden Protokoll, daß Herr B. sich geärgert habe, daß Pfarrer Schneider so etwas sagen konnte, und Frau P. empört dem Pfarrer zur Antwort gegeben habe, sie sei stolz, dem Führer einen Sohn geschenkt zu haben und noch stolzer, ihm gleich einen andern dafür gegeben zu haben. Auf die Frage des Gestapobeamten, ob Pfarrer Schneider die gemachte Äußerung bereue, gab dieser zur Antwort: „Man bereut nie, seine Pflicht getan zu haben." Eine abermalige Vorladung zur Gestapo nach Waldshut erfolgte auf Samstag, den 7. 9. 1940. Als Pfarrer Schneider den Gestapobeamten frug, was nun schon wieder los sei, bekam er zur Antwort: „Nun sind wir soweit." „Und nun?", frug Pfarrer Schneider. „Sie sind verhaftet", war die Antwort. Bevor Pfarrer Schneider ins naheliegende Gefängnis gebracht wurde im Auto, um Aufsehen zu vermeiden, konnte er per Telefon Stadtpfarrer Bieser über seine Verhaftung verständigen. Damit schlossen sich hinter Pfarrer Schneider die Tore der Freiheit für 55 Monate. In einer Einzelzelle auf der Südseite des Gefängnisses, dessen Personal freundlich und zuvorkommend war, vergingen die Tage mit Klebearbeiten und Gebet. Das Brevier, das Neue Testament und die Psalmen von Grundl hatten die Wärter Pfarrer Schneider gelassen. Nur einmal wurde die Einsamkeit unterbrochen: Gleich in den ersten Hafttagen wurde Pfarrer Schneider zum „Erkennungsdienst" gebracht. Dort machte man von ihm photographische Aufnahmen und nahm ihm Fingerabdrücke, mit anderen Worten: nahm ihn ins „Verbrecheralbum" auf. Diese Maßnahme ließ nichts Gutes ahnen. Sie wurde bestätigt, als nach drei Wochen der Aufseher Pfarrer Schneider sagte: „Sie werden nicht entlassen!" Erst seit dieser Zeit setzten Befürchtungen ein und zeigten sich jene Symptome, die man Haftpsychose nennt. Auch wurden die Forderungen, Pfarrer Schneider vor ein ordentliches Gericht wegen seiner Äußerungen zu stellen, abgewiesen. Am Allerseelentag, dem 2. 11. 1940, kam ein Gestapobeamter in die Haftzelle und übergab ihm einen unterm 20. 10. 1940 von Heydrich unterzeichneten „Schutzhaftbefehl". Er lautete: „Pfarrer Richard Schneider von Beuggen wird zum Schutze von Volk und Staat in Schutzhaft genommen, insbesonders, weil er in wiederholten Fällen zu Eltern zur SS eingezogenen Männern gegangen ist und sich in abfälliger Weise über die SS geäußert hat und dadurch höchste Empörung hervorgerufen hat, und zu erwarten ist, daß er auch fernerhin, besonders in der Kriegszeit, Unruhe in die Bevölkerung trägt." Dem Gestapomann gab Pfarrer Schneider zur Antwort: „Das alles ist übertrieben und verlogen!" Doch darauf erfolgte keine Antwort. Erst nach seiner Rückkehr aus Dachau erfuhr Pfarrer Schneider, daß der Stellvertreter des inzwischen eingezogenen Stützpunktleiters, Herr St., Unterschriften in der Gemeinde sammelte mit dem Ersuchen, daß Pfarrer Schneider nicht mehr in die Gemeinde zurückkehrt. Doch nur wenige Gemeindemitglieder sollen sich dazu hergegeben haben. Am Donnerstag, dem 7. 11. 1940, kam der Wärter in die Haftzelle und sagte Pfarrer Schneider: „Machen Sie sich fertig, Sie kommen auf Schub!" Von zwei Gendarmen mit entsicherter Waffe wurde er zur Bahn gebracht. Dort stand ein Gefängniswagen auf dem Geleise. Der den Wagen begleitende Beamte sagte den Gendarmen: „Heute nehmen wir die nicht mit, die nach Dachau kommen, erst am Montag." Auf diese Weise erfuhr Pfarrer Schneider, wohin der Weg ging. Ins Gefängnis zurückgebracht, begann für ihn ein Seelenkampf auf Leben und Tod. Bereits durch das in der Schweiz erschienene Buch „Die Moorsoldaten" mit dem bekannt, was er zu erwarten hatte in Dachau, rang er innerlich mit dem Gedanken, ob er sich nicht die Leidenszeit durch Selbstmord abkürzen solle. In seiner Not schlug er willkürlich die Psalmen von Grundl auf. Es war der Psalm 141: Aus dem Kerker des Leidens, als David in der Höhle war. Er las die inhaltsreichen Verse, die ganz seine Lage bekundeten, er las aber auch: Wenn mein Verstand nicht mehr ein und aus weiß, auch da kennst du meinen Weg. Und erst der Schlußvers: Deduc me Domine. Da ging ihm ein Licht auf! Der Sturm war vorbei, die Ruhe wieder da. Mit dem schmerzhaften Rosenkranz auf den Lippen schlief Pfarrer Schneider die ganze Nacht seelenruhig. „Es ist dein Weg", sagte er sich immer wieder und ging entschlossen und gefaßt der finsteren Zukunft entgegen. Am Montag, dem 11. 11. 1940, begann der Schub nach Dachau. Über Säkkingen und Lörrach ging es nach Freiburg. In Weil a. Rhein kamen straffällige, zu hohen Zuchthausstrafen verurteilte Soldaten hinzu. Ihre keineswegs niedergeschlagene Stimmung ließ ahnen, wie es schon im Gebälk des Nazistaates krachte, und weckte die Hoffnung, daß sein Bestand bald dem Ende entgegenging. Nach einer Nacht im Gefängnis in Freiburg ging es weiter nach Bruchsal; ein Jude aus Freiburg mit katholischer Familie war der Begleiter von nun an. In Karlsruhe kamen Zuchthäuslerinnen auf dem Schub nach Ludwigsburg hinzu. Im Untersuchungsgefängnis zu Bruchsal war Zwangsaufenthalt vom 12. 11. bis 18. 11. Am Montag, dem 18. 11., ging es mit kurzen Aufenthalten in Stuttgart und Ulm nach Ingolstadt. Mit einem ehemaligen Zuchthäusler, der bereits 22 Jahre hinter Kerkermauern verbracht hatte, zusammengefesselt, wurde Pfarrer Schneider ins Gefängnis gebracht. Vier Tage verbrachte er hier in einer feuchten, stinkigen Zelle mit Zuchthäuslern und Wilderern die Zeit zum Weitertransport zur letzten Station:
Dachau
Am 22. 11. 1940, abends 4 Uhr, wurde Pfarrer Schneider wieder mit einem Häftling zusammengefesselt. Diesmal war es der Freiburger Jude. Unter scharfer Bewachung ging es zur Bahn. Schon war es dunkel, da hörte man rufen: Dachau. Baumlange SS-Männer rissen die Türe des Transportwagens auf und begannen gleich wahllos auf die Gefangenen einzuschlagen. Meistens waren es Polen, darunter vor allem solche der polnischen Intelligenz. Unter Geschrei und Fußtritten wurden alle in einen Lastwagen gepfercht, und rasch ging es außerhalb der Stadt zum Konzentrationslager. Vor dem Eingangstor ins eigentliche Lager hagelte es Schlage und Tritte, bis alle ihre Häftlingsnummer erhalten hatten und ihrePersonalien aufgenommen waren. Pfarrer Schneider bekam die Häftlingsnummer 21613, die ihm mit der Bemerkung übergeben wurde: „Die trägst du, solange du lebst. Hier kannst du die Augen schließen." Hinein ging's ins Lager. Die Entpersönlichung begann. Völlig entkleidet, aller Körperhaare beraubt, ging's ins Bad. Unter Gebrüll und Schlägen wurden die Häftlinge abgeduscht, mit kaltem Wasserstrahl auf die Genitalien gequält, wobei ein 70jähriger Graf aus Polen schon fast zu Tode kam. Ein Zebraanzug, zerrissene Unterwäsche, zu kleine Schuhe bildeten die Haftkleidung. „Pfaffen, Bibelforscher und Juden kommen auf den Strafblock!" rief eine SS-Männerstimme. So wurde Pfarrer Schneider und der Freiburger Jude im Laufschritt über den schneebedeckten Lagerplatz auf Block 15 (Judenblock) und 17 gebracht. Die Häftlinge der „Strafkompagnie" waren schon zur Ruhe gegangen. Auf der überfüllten Stube 1 lagen sie nicht nur in drei Stockwerken übereinander auf den Strohsäcken, auch der Fußboden der Wohnstube war belegt. Pfarrer Schneider wurde im Schlafraum, der wegen der Überfüllung auch jetzt im Winter die Fenster offen lassen mußte, zwischen zwei Häftlingen in den Graben der beiden Bettstellen gelegt. Als der Neuankömmling seine zukünftigen Blockkameraden begrüßte mit einem Grüß Gott!, da hob der eine seinen Kopf und frug ihn, woher er komme. Als er vernahm, er käme aus dem Badnerland, sagte er freudig: „Ich bin auch aus dem Badischen, aus Haslach im Kinzigtal, wo der Hansjakob her ist." Es war ein Malermeister, der als „Ernster Bibelforscher" wegen Verweigerung der Heeresdienstpflicht ins KZ kam und, wie er Pfarrer Schneider schilderte, schlimme Zeiten unter Schlägen und Fußtritten erleben mußte. Mit seinen absonderlichen Bibelauslegungen konnte er Pfarrer Schneider nicht infizieren, wohl aber mit Läusen, vielleicht auch mit seinen vielen Geschwüren, die seinen Körper bedeckten. Denn bei der Kälte schmiegten sieh die Schläfer eng aneinander, um sich gegenseitig nachts unter der dünnen Decke warmzuhalten. Morgens um 5 Uhr begann das Tagewerk im
Strafblock.
Ein Gewimmel herrschte wie in einem Ameisenhaufen, als „der Bär" brummte, das Signalhorn zum Aufstehen. Wehe, wer nicht sofort aus dem Bette sprang! Denn das konnte schon Fußtritte und Prügel eintragen. Schnell anziehen, schnell waschen mit entblößtem Oberkörper und dann „Bettenbau". Wehe, wenn der Strohsack nicht eben wie eine Tischplatte gebaut war, wehe wenn der gestreifte Überzug der Bettdecke nicht schnurgerade dalag. Dafür gab es besondere Lagerstrafen wie Essensentzug, sogar Prügelstrafe. Dann gab es das Frühstück, braunes, warmes Wasser, das der Häftling mit einem Teil seiner kargen Tagesration Brot eiligst hinunterwürgte. Nun hieß es die Stube räumen, um den Boden auf Hochglanz zu bringen. Darum mußte alles bis auf das Stubenkommando ins Freie trotz Sturm und Regen. Auf der Blockgasse traf Pfarrer Schneider fünfzehn Geistliche, darunter zwei evangelische. Die Confratres waren zumeist Tschechen, vorab Jesuiten aus Prag. Ein ostpreußischer Priester, Pruczekoski, nahm sich des Neuzugangs an und weihte ihn in die Tagesordnung ein, vor allem, daß die Häftlinge des Strafblocks völlig recht- und schutzlos sind, bestimmt zum Tode. Darum nenne man das Arbeitskommando dieser Unglücklichen auch die „Todeskompagnie". Die grausamsten und brutalsten SS-Männer hätten hier das Kommando. Kurz vor 6 Uhr hieß es „Antreten". Da die Häftlinge auf dem Zugangsblock nicht mit den übrigen Häftlingen zusammenkommen durften, fand der Zählappell auf der Blockstraße statt. Dann rückte das ganze Kommando zur Arbeit aus, kam um 12 Uhr zurück und ging wieder zur Arbeit bis zum Eintritt der Dunkelheit. So ging es sonn- und werktags. Denn Strafhäftlinge hatten keine Ruhe und Erholung zu erwarten. Sie waren in einem „Vernichtungslager", das sich in der Offentlichkeit „Umschulungslager" nannte. An diesem Tag mußte Pfarrer Schneider nochmals zum „Erkennungsdienst", damit neue Fotos und Fingerabdrücke für das Verbrecheralbum gemacht werden. Dort traf er nochmals den polnischen Grafen. In einem günstigen Augenblick konnte er dem betagten Manne sagen, daß er die Strapazen des Lagers bei seinem Alter nicht lange erträgt. Nach einem kurzen Reuegebet gab er ihm die Lossprechung. Wie gut das! Denn drei Wochen später war er schon tot. Wehe aber, wenn er bei dieser priesterlichen Tätigkeit erwischt worden wäre. Dies war unter Strafe verboten. Kaplan Emil Kiesel, der kurz darauf ins Lager kam, wurde deswegen angezeigt und kam dafür auf den „Block", d. h. er wurde auf einen Tisch gespannt und bekam von SS-Männern 50 Doppelschläge auf das Gesäß mit Ochsenziemern, so daß er zerfleischt und blutüberströmt auf den Block zurückkam. Im Erkennungsdienst wurde zum ersten Male das ganze Repertoir gemeiner Schimpfworte über Geistliche über Pfarrer Schneider ausgegossen und mit den Worten geschlossen „Hier kannst du verrecken!", „Hier kannst du die Augen schließen!" Die Arbeit an dem Tag bestand darin, an der Zebrakleidung die Häftlingsnummer und den roten Winkel anzubringen, vor allem aber auf dem Rücken den schwarzen Punkt, der den Häftling als „damnatus ad bestias" kennzeichnete. Am Abend, nach dem Einrücken des Arbeitskommandos, kam der Blockführer auf die Stube, ein brutaler, sadistischer SS-Scharführer. Ahnungslos lief ihm Pfarrer Schneider in die Hände. „Ah!, da ist ein Neuzugang, ein Pfaffe! Warum bist du da?", ließ er mit verbissenen Lippen vernehmen. Noch bevor aber Pfarrer Schneider antworten konnte, sah der Blockführer einen Haftling mit violettem Winkel, einen Bibelforscher. Diese waren seine „Lieblinge". „Alle Bibelforscher antreten!", schrie er. Dann bearbeitete er sie mit Schlagen und Fußtritten, bis alle stöhnend auf dem Boden lagen. Während dieser Schreckensszene konnte Pfarrer Schneider sich dünn machen und entging so ahnlichem Leid. Am Montag, dem 25.11.1940, ging es zum ersten Male mit zur Arbeit. Neben Strafblock 17 rückte auch der Judenblock 15 zum gleichen Arbeitsplatz aus, einer Kiesgrube innerhalb des SS-Lagers. Zuerst gab es eine „Gaudi", indem man die Juden drangsalierte oder einen Geistlichen und Juden sich gegenseitig Ohrfeigen erteilen ließ; dann stieg ein Teil der Gefangenen in das knöcheltiefe Moorwasser, hob Sand und Kies aus, den die andern auf hochbeladenen Schubkarren im Laufschritt auf einen Ablageplatz schieben mußten. Der Erzpriester von Gleiwitz, Dr. Anton Corzek, wurde gemeldet, daß er nicht genug leistet. Dafür kam er an den „Baum", d. h. er wurde mit den 1-landen auf dem Rücken mit einer Kette eine Stunde lang auf gehangt. Die Angst vor dieser Strafe „wegen Faulheit" trieb die Häftlinge an, bis zum Zusammenbruch zu schuften. Begreiflich, daß täglich Häftlinge zusammenbrachen und sterbend in den Straßengraben gelegt wurden. Niemand durfte ihnen helfen. Die Priester konnten höchstens beim Vorbeifahren still die Absolution sub conditione erteilen. Und wenn die Ärmsten noch lebten, mußten sie mit auf den Block genommen werden und anderntags wieder zum Arbeitsplatz. Erst nach ihrem elenden Lebensende wurde eine Bahre geholt, um sie in die Leichenkammer zu bringen. Eines Tages hat ein SS-Wachmann privat Pfarrer Schneider vernommen, warum er nach Dachau kam. Schließlich sagte er: „Nun bleibst einmal einige Jahre hier. Und wenn du herauskommst, suchst du dir ein schönes Mädchen und heiratest!" „Das hätten Sie mir vor fünfundzwanzig Jahren sagen sollen", gab Pfarrer Schneider zur Antwort. Am Nachmittag des 28. November 1940 hatte Pfarrer Schneider Vernehmung durch den Lagerführer Zill, einen rohen und ordinären SS-Hauptsturmführer. An Hand der Strafakte informiert, wurde Pfarrer Schneider mit den gemeinsten Schimpfworten überschüttet und dann aus dem Zimmer gejagt. Ein Glück für ihn, daß es nicht unter Fußtritten geschah, wie es bei Zill üblich war. Doch das Unglück folgte auf dem Fuß! Er mußte anschließend bei Schneesturm am Lagertor still stehen in seinem dünnen Sträflingsanzug. Auf den Block zurückgekehrt, sprach er seinen Leidensgenossen sogleich die Befürchtung aus, daß er sich dabei eine Lungen- und Rippenfellentzündung geholt habe. Husten und Schüttelfrost und nach einigen Tagen Bluthusten wie Auftreten von Geschwüren am Körper bestätigten die Befürchtung. Bei Krankmeldung wurde er abgewiesen mit dem Bemerken: „Du kannst so verrecken, du hast ja den schwarzen Punkt!" So mußte Pfarrer Schneider trotz der schweren Erkrankung weiterhin in Eiswasser stehend Sand schöpfen oder Karren schieben, in seinen nassen Kleidern frierend vor dem Lagertor stehen, bis dies zum Einrücken geöffnet wurde. Angina und Stirnhöhlenentzündung kamen hinzu, ebenso Darmkatarrh. Zusehends zerfiel er, und seine Kameraden rechneten, wie er schon, mit seinem Tode. Am 2. Adventssonntag, dem 8. Dezember 1940, mußte das Strafkommando wegen dichten Nebels nicht ausrücken. Dafür war Exerzieren auf dem Appellplatz. Da öffnete sich auf einmal das Lagertor, auf dem in eiserner Schrift steht: Arbeit macht frei. Etwa 600 Häftlinge wankten von einem Transport herein. Es waren polnische Geistliche, die aus anderen Lagern kamen und nun in Dachau auf einen Sonderblock kamen. Die kommenden Tage kamen immer wieder Transporte von Priestern. Man munkelte von einem „Pfarrerblock". Am Nachmittag des 11. Dezember 1940 mußten die Geistlichen des Strafblocks nicht ausrücken, sondern ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpacken. Man führte sie auf Block 30, wo sie mit Jubel von Confratres empfangen wurden. Der
Priesterblock
war für die Priester aus dem Strafblock die Rettung vor baldigem Tod. Zunächst waren die Blöcke 28 und 30 zur Aufnahme von Priestern zurechtgemacht worden. Nach einigen Wochen kam noch der Block 26 hinzu, weil die Zahl der Zugänge allmählich auf 1000 (Tausend) katholische und einige Dutzend evangelische Geistliche gestiegen war. Diese drei Blocks wurden im Lager noch extra mit Stacheldraht umgeben, damit die anderen Lagerinsassen mit den Geistlichen nicht in Berührung kommen konnten. Außerdem wurde an jedes Blocktor noch ein Wachposten durch einen Häftling gestellt, damit Unberechtigte nicht sich hineinbegeben konnten. Jegliche priesterliche Tätigkeit wurde untersagt, vor allem mit Häftlingen auf anderen Blocks. Die Geistlichen mußten nicht mehr zur Arbeit ausrücken. Sie hatten nur Eßkübel zu schleppen, sonst unter tags sich auf der Blockgasse aufzuhalten. Im Gesamtlager durften sie sich nicht bewegen. Sie bekamen die gleiche armselige Lagerkost. Zusätzlich kam hinzu eine angebliche Papstspende: Täglich einen Becher Bier und eine Flasche Wein für sechs Mann. Diese Zulage mußte unter Aufsicht eines Scharführers eingegossen und auf einmal „ausgesoffen" werden. Nicht nur den SS, sondern auch vielen, weltanschaulich anders eingestellten Häftlingen war der „Pfaffenblock" ein Dorn im Auge. Von Anfang an wurden hinterhältige Versuche unternommen, den Priesterblock zum Scheitern zu bringen. Spitzel überwachten den Block, um Befehlswidrigkeiten festzustellen, sie zur Meldung zu bringen und so die Aufhebung der Vergünstigungen wie des Blocks zu erwirken. Es bedurfte eiserner Disziplin wie größter Klugheit, um die „Anschläge der Gottlosen" zuschande zu machen. Wenn man bedenkt, daß mit der Zeit das Lager überbelegt wurde, besondere Werkstätten innerhalb des Lagers aufgetan wurden, so ist es zu verstehen, daß da immer wieder auf den Block 26-30 hingewiesen wurde und man sogar gegen Ende von Dachau mit dem teuflischen Gedanken spielte, die am 21. Januar 1941 eröffnete Kapelle auf Block 26 zum Bordell zu machen, um die bisherigen Räume als Werkstätten benutzen zu können. Hilfreiche Hände nahmen sich auf Block 30 des schwerkranken Pfarrers Schneider an. Besonders war es Jesuitenpater Johannes Lenz, der ihn betreute, am warmen Ofen ihm einen Platz verschaffte, damit er den schmerzhaften Brustkorb dort anlehnen kann. Und als sein Zustand sich nicht besserte, verschaffte er Pfarrer Schneider durch Vermittlung von Bürgermeister Dr. Richard Schmitz aus Wien die Aufnahme in den Krankenblock. Denn nur wer dem Reviercapo H. empfohlen war, durfte mit Aufnahme rechnen, noch mehr, auch hoffen, wieder lebend und gesund herauszukommen. Am 23. 12. 1940 kam Pfarrer Schneider auf den Krankenblock. Zunächst kam er auf den Bau für Darmkranke. Da sah er mit eigenen Augen, wie Kranke getötet wurden, sei es durch übergroße Dosen Gift, durch Luftembolien oder Einspritzen von Benzin. Als Reviercapo H. Pfarrer Schneider auf diesem Todesblock feststellte, sagte er: „Der gehört nicht hierher, der kommt auf den Block für Inneres." In einer Holzbaracke, deren Innenwände durch die Kälte von Reif weiß waren, fand er Aufnahme. Liegen bleiben und schlafen, hungern und frieren war die ganze Behandlung. Hier feierte Pfarrer Schneider die hl. Weihnacht zum ersten Male im Lager. Erzpriester Corzek, der mit ihm schon im Strafblock war, befand sich auch auf dieser Krankenstube. Die Lagerstrafe am „Baum" hatte ihn zugrunde gerichtet. Er litt an Herz- und Kreislaufstörungen, obwohl er erst 50 Jahre alt war. Seine letzte Predigt war die Weihnachtsansprache an die Kranken. Bald wieder entlassen, endete er durch einen Herzschlag am 6. Februar 1941. Pfarrer Schneider drückte noch in der Heiligen Nacht eine ehemaligen russischen Gardeoffizier die Augen zu. Der Hüne starb an einer Lungenentzündung. Einige Wochen später starb in seinen Armen ein Jude namens Grünbaum aus Frankfurt, der aus dem Lager Neuengamme bei Hamburg zurückgekommen war. Mit Phlegmonen und Darmruhr ins Revier gebracht, brach er beim Gang auf die Aborte zusammen. Bis ihn Pfarrer Schneider auf seinen Strohsack zurückbrachte, war er bereits tot. Erst Ende Januar 1941 kam endlich auch einmal ein SS-Arzt zu den Kranken. Bei Pfarrer Schneider stellte er fest: Exsudat rechts nach Pneumonie. Nach vier Wochen kam er wieder. „Schwartenbildung, keine Punktion mehr möglich", war die diesmalige Diagnose. Weil inzwischen bei Pfarrer Schneider Dutzende von Geschwüren aufgetreten waren, wurde er auf den „Grätzeblock" verlegt, wo er drei Wochen weilte und dann auf Block 30 zurückverwiesen wurde. Er kam dann gleich auf Block 26 und fand in der Stube 2 neben der Kapelle Aufnahme. Auf diesem Block blieb Pfarrer Schneider dann bis zu seiner Entlassung im Jahre 1945. Die damals üblichen
Arbeiten im Lager
nahmen nunmehr ihren Anfang.
5 Uhr: Aufstehen, Kaffeekübel schleppen, Waschen, Bettenbau, Zimmerreinigung.
½ 6 Uhr: Hl. Messe von Polenpfarrer Rabuski.
6 Uhr: Antreten zum Lagerappell.
11 Uhr: Eßkübel schleppen auf die Blocks.
1 Uhr: Leere Kübel zur Küche zurückschleppen.
5 Uhr: Abendessen schleppen.
6 Uhr: Abendappell.
8 Uhr: In die Betten.
[3 Freib. Diözes.-Archiy. Bd 90, 3. F., 22] Die verbleibende Freizeit wurde mit Gebet, Konversation und Studien, soweit es möglich war, ausgefüllt. Durch Kardinal Bertram waren Breviere ins Lager gekommen, auch durfte man sich theologische Bücher mit der Zeit kommen lassen. Trotzdem war das Leben im Pfarrerblock nicht angenehm. Einmal war es die Enge. Statt 50 waren auf einer Stube weit über 100, später sogar bis 300 Menschen zusammengepfercht. Das machte nervös. Die armliche Lagerkost ohne Fett und Fleisch, arm an Kalorien und Vitaminen ließ die Haftlinge immer mehr abmagern und zur Entkräftung bringen. Das Hungergespenst ging um. In der schlimmsten Zeit wogen die zu Skeletten abgemagerten Häftlinge oft nicht einmal mehr 50 kg. Hungerruhr stellte sich ein. Hungerödeme an den Beinen, ja in der Bauchhöhle waren keine Seltenheit mehr. Und trotzdem mußten Eßkübel geschleppt werden, gefüllt 75 kg schwer, alles im Laufschritt, vom Frühjahr an barfuß. Brach ein Träger zusammen, wurde der Kübelinhalt verschüttet, so wurde dem betreffenden Block ein Eßkübel entzogen. Wenn die SS dazu noch mit Stöcken auf die Lastentrager einschlug, so war erst recht das Lagerleben so recht als Sklavenleben fühlbar. Bis zum Frühjahr 1942 waren die Geistlichen nur innerhalb des Lagers zu Diensten herangezogen. Im Januar 1942 hörte man sich herumsprechen: „Die Juden haben sie nun in der Plantage erledigt, jetzt kommen die Pfaffen dran." Und wirklich begann man Arbeitskommandos für die Plantage von März an zusammenzustellen. Ende April kam Pfarrer Schneider auch dazu. Um 6 Uhr wurde nach dem Zählappell ausgerückt in das mit Reif bedeckte Moorgelände, das mit der Zeit zu einer großen Anbaufläche für Heil- und Gewürzkräuter, Gemüse und Gladiolen gerodet worden war. Ohne Übertreibung darf man sagen, daß jeder Quadratmeter dieser Plantage mit dem Leben eines Häftlings, vor allem Juden, bezahlt wurde. Die Arbeit bestand in roden, umstechen, jäten, die Egge ziehen, die Straßenwalze ziehen usw. Bei Regen und Sturm durfte der Arbeitsplatz nicht verlassen werden. Durchnäßt und durchgefroren kamen die Arbeitssklaven abends wieder schwankend ins Lager zurück. Infolge der ärmlichen, unzureichenden Kost suchten die Häftlinge alles Eßbare zu erhaschen: Gras, Blatter, Lauch, Petersilie, was alles auf der Plantage zu finden war. Diese Ernährung erhöhte nur die Zahl der an Hungerödem Erkrankten und trug wesentlich zu den hohen Totenziffern unter den Geistlichen bei. Das große Priestersterben setzte unter den polnischen Geistlichen im Juni 1942 ein, unter den Deutschen im Juli 1942. Zuvor schon wurden 300 Geistliche unter 3000 Selektierten zur Vergasung ausgewählt. Pfarrer Schneider entging wie durch ein Wunder diesem Schicksal in den von Eichmann ersonnenen Vergasungswagen. Es war am 24. Juni 1942. Wegen Sehnenscheidenentzündung des rechten Armes hatte er acht Tage Schonung. Da hieß es auf einmal: Alle, die nicht arbeiten, antreten. Die Häftlinge wußten, was das bedeutet: Ein „Himmelfahrtskommando" wird zusammengestellt. Pfarrer Schneider nannte dem SS-Arzt Namen, Alter und Arbeitsplatz. Als dieser ihn mit einem Zeichen zu den Todgeweihten hinwies, gab der neben ihm stehende Reviercapo Zimmermann zur Antwort: „Ach, Herr Hauptsturmführer, der Pfarrer Schneider ist ein fleißiger Arbeiter in der Plantage, der kann nach fünf Tagen wieder arbeiten." Daraufhin erfolgte die Abstellung zu den arbeitsfähigen Häftlingen. Dem Capo Zimmermann konnte Pfarrer Schneider im Dachauer Prozeß der Alliierten als Entlastungszeuge durch dessen Einstehen für ihn selbst das Leben retten. Die Errettung aus Dachau verdankt Pfarrer Schneider vor allem dem Umstand, daß er ab Juli 1942 ein Sonderkommando in der Plantage erhielt, das des Schädlingsbekämpfers. Die ganze Arbeit spielte sich auf dem Versuchsgelände des Reichsnährstandes ab und auf den Abteilungen für Heil- und Gewür7krauter. Aus letzteren wurden in einer Gewürzmühle die sogenannten „Prittelbacher Gewürze" hergestellt, Pfeffer aus inländischen Gewürzpflanzen. Es galt die tierischen, pflanzlichen und bakteriologischen Schädlinge 711 erkennen und mit entsprechenden Bekämpfungsmitteln biologischer und chemischer Art zu vernichten. Es war ein höchst interessantes Gebiet, nicht so stumpfsinnig wie beständiges Graben und Jäten, dazu auch nicht so anstrengend und aufreibend. Die Arbeit war abwechslungsreich in den Gewächshäusern, den Versuchsbeeten, auf dem Freiland. Die Kapläne Maurath und Weinmann, beide Priester der Erzdiözese Freiburg, waren als Gehilfen beigegeben. Auch denen war dieser „Druckposten" zu gönnen, zumal Kaplan Maurath an Zwölffingerdarmgeschwüren litt und oft schlimme Zeiten durchmachte. Es gab dabei auch Gelegenheit, sich Eßbares zu organisieren und so etwas mehr an Nahrung zu sich nehmen zu können, als die geringe Lagerkost bot. Wegen der Mäusebekämpfung gaben junge Russen, die unter den Arbeitern auf der Plantage waren, Pfarrer Schneider scherzweise den Namen „Capo Maus". Er blieb ihm bis heute unter den ehemaligen KZ-Priestern. Trotz dieses leichten Kommandos blieb Pfarrer Schneider fernerhin nicht verschont von
Erkrankungen
Die furchtbare Zeit in der Strafkornpagnie hatte seine Gesundheit schwer angeschlagen. Nässe und Kälte hatten neben unzureichender Lagerkost das Blut krank gemacht. Häufige Halsentzündungen lösten ständig massenhafte Geschwüre aus; offene Wunden an den Unterschenkeln kamen hinzu. Mehrere Hundert Geschwüre bedeckten mit der Zeit den Körper von Kopf bis Fuß. Bei der unzureichenden und einseitigen Kost kam zu der Abmagerung bis zum Skelett im Juli 1942 zum ersten Male die Hungerruhr. Sie wiederholte sich im September 1942. Völlig entkräftet wurde er ins Revier eingeliefert. Nach mehrtägiger Bewußtlosigkeit erwachte Pfarrer Schneider wieder im Gegensatz zu seinen eingelieferten Leidensgenossen zu neuem Leben. Furunkulose und Gesichtsrose brachten Pfarrer Schneider im November 1943 abermals ins Revier, in die Seuchenabteilung. Da inzwischen Ärzte die Kranken betreuten, kam es dahin, daß im Januar 1944 die völlig vereiterten Mandeln entfernt wurden. Seitdem gingen die Geschwüre zurück und hörten allmählich ganz auf. An Weihnachten 1944 erkrankte Pfarrer Schneider an infektiöser Gelbsucht, die neben dem Flecktyphus im Lager grassierte. Nach zweimonatigem Aufenthalt im Krankenbau kam er wieder auf seinen Arbeitsplatz zurück. Dieses Durchstehen der schweren Erkrankungen wäre nicht erfolgt, wenn nicht ab November 1942 im Lager
Lebensmittelpakete
aus der Heimat zugelassen worden wären. Der Tod vieler Häftlinge an Unterernährung wäre nicht erfolgt, hätten die beiden Lagerführer Zill und Hoffmann dies wie schon seit Ostern 1942 in andern Lagern gestattet. Erst als der neue Lagerkommandant Weiss dies gegen den Willen der beiden Lagerführer durchsetzte, konnten ohne Einschränkung Pakete mit Nahrungsmitteln und auch Bekleidungsstücken ins Lager kommen. Damit hörte vor allem das Massensterben an Hungerkrankheiten auf. Zwar forderte der Bauchtyphus im Frühjahr 1943 viele Opfer und erst recht Flecktyphus und andere Seuchen gegen Ende 1944 und im Frühjahr 1945, doch waren diese Todesfälle auf unhygienische Verhältnisse zurückzuführen, die eintraten mit der Überbelegung des Lagers. Unter all den bekannten und unbekannten Nothelfern mit Lebensmitteln ins Lager Dachau muß besonders Stadtpfarrer Pflanze' und den ehrw. Schwestern in Dachau gedankt werden, die durch eine heimliche Organisation meisterlich gerade in der Zeit vor allem Brot ins Lager brachten, als die zunehmende Unterbrechung des Verkehrs Pakete von weither nicht mehr oder nur zeitweise gestattete. Sonst wären gegen Ende der Lagerzeit nochmals viele hungers gestorben. Oft stand Pfarrer Pfanzel in Gefahr, eine Haussuchung durch die Gestapo über sich ergehen lassen zu müssen. Pfarrer Schneider, der Verbindung mit zuverlässigen Laien nach außen hatte, konnte immer rechtzeitig ihn warnen lassen. Beruhigend gab immer der mutige Priester zur Antwort: Sie sollen nur kommen! Sie finden nichts! Etwa 3000 Priester aus Europa waren im KZ Dachau. über 1000 starben dort: von den Polen jeder zweite, von den Deutschen jeder vierte. Als im Januar 1941 die Lagerkapelle eröffnet wurde, waren 1000 Priester im Lager, davon lebten im Januar 1945 nur noch 400. Etwa 800 polnische Priester fanden in Dachau den Tod durch Gewalt, Hunger und Seuchen. Groß war das Priestersterben in Dachau vor allem im Jahre 1942 durch Hunger, im Frühjahr 1943 an Typhus und 1945 an Flecktyphus. Erschütternd und unvergeßlich bleibt das Massensterben betagter polnischer Priester, die nach Beginn des Rußlandfeldzuges in großer Zahl ins Lager kamen und an Kälte und Entbehrungen starben. Gering ist die Zahl der Priester, die bei Versuchszwecken starben, doch werden die überlebenden dieses verbrecherischen Tuns eines Prof. Dr. Schilling und eines Dr. Rascher zeitlebens an den Folgen zu leiden haben. Aus der Zahl der in Dachau verstorbenen Priester seien besonders genannt: 1. Weihbischof Michael K o s a1 von Posen. Im Weltkrieg 1914/18 kämpfte er als deutscher Offizier auf deutscher Seite, wurde dann zum Priester geweiht und am 15. August 1939 zum Bischof konsekriert. Zu Beginn des Polenfeldzuges verhaftet, mußte er unsägliche Leiden erdulden, kam im Dez. 1940 ins Lager Dachau und starb im Februar 1943 an Typhus. Er arbeitete auf der Plantage. Er war ein stiller Dulder, ein heiligmäßiger Priester, ein Tröster seiner mitgefangenen Priester, ein Märtyrer des Nationalsozialismus. 2. Domkapitular Gebert von Prag. Von einem andern Domherrn der Gestapo denunziert, weil er ihm im Wege war zum Aufstieg als Weihbischof des deutschen Anteils der Erzdiözese, wegen eines Referates im Domkapitel über die religiöse Lage im deutschsprachigen Anteil der Diözese, kam er im Frühjahr 1941 ins Lager Dachau. Er wußte nur Gutes zu erzahlen von den jungen Priestern, die in Prag als Rekruten weilten und heimlich in seinem Domherrenhaus, dem Haus des hl. Nepomuk, zelebrierten, weil der kath. Standortpfarrer es sonst nicht zuließ. Er freute sich, unter den inhaftierten Priestern zu weilen, weil er da vieles lernen und erfahren konnte, was später einmal in der Heranbildung von Priestern von außerordentlichem Nutzen sein konnte. Die Arbeit in der Sandgrube mit der Schaufel war für den betagten Domherrn zu schwer. Er starb an einem Herzschlag im Mai 1941 (18. Mai). 3. Pfarrer Adolf Bernhard von Hondingen bei Donaueschingen war der dritte Priester der Erzdiözese Freiburg, der nach Dachau schon im Dez. 1940 kam. Durch den Lehrer und Ortsgruppenleiter kam er in Haft. Er trug sehr schwer an seinem Los. Immer wieder hörte man ihn klagen: „Ich hab doch nichts Unrechtes getan." Pfarrer Bernhard zeigte ein außerordentlich reiches theologisches Wissen. Thomas von Aquin kannte er auswendig. Wie oft griff er mit Zitationen des Aquinaten bei theologischen Gesprächen in die Debatten ein. Er litt furchtbar unter Hunger und war einer der ersten deutschen Priester, die im Juli 1942 hungers starben. Sein Todestag ist der 11. Juli 1942. 4. Msgr. Dr. Heinrich Feurstein von Donaueschingen. Seine mutige Neujahrspredigt 1942 gegen die Euthanasie brachte ihn ins Gefängnis und den Tod in Dachau. Er war deshalb ohne Gerichtsurteil zum Tode verurteilt. Ein Verbrechen kann man es nennen, daß der Mann, der wegen körperlicher Leiden weder haft- noch lagerfähig war, hinter Kerkermauern und Stacheldraht kam. In der 1. Julihälfte 1942 kam er im Lager an. Pfarrer Schneider entdeckte ihn auf dem Zugangsblock, wo er ohne Fußbekleidung Aborte säubern mußte. Magen- und Darmbeschwerden hatten ihn bereits dem Tode nahe gebracht. Unsäglich litt er an seinem Darmübel. Auf Block 26 war er nur 14 Tage. Seine Mitbrüder taten ihr möglichstes, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Vor Schmerzen meldete er sich krank, kam ins Revier und starb bereits zwei Tage später in der Mittagsstunde des 2. August 1942. 5. Pfarrer Anton Fränznick von Bollschweil]. Sein Seeleneifer machte ihn der NSDAP verhaßt. Kein Wunder darum, daß er in Dachau landete! Dort war er seinen Landsleuten wie allen Priestern auf Block 26 ein Tröster und Ermunterer; er konnte bei allem Elend scherzen und lachen. Sein Seeleneifer erlahmte auch im Lager nicht. Sein Arbeitsplatz auf der Plantage war in einem Raum, wo die von der HJ gesammelten Kräuter und Tees sortiert und geschnitten wurden. Es war ein mit Staub angefüllter Raum. Hinter den Ballen gesammelter Pflanzen hatte sich Fränsnick eine Nische zum Kochen und Beten gebaut. Den ungesunden Arbeitsplatz wollte er einmal deswegen nicht aufgeben, dann aber auch, weil er es gut mit den kommunistischen Mitarbeitern verstand und diese durch sein liebenswürdiges Verhalten zurückgewinnen wollte. Er verteilte alle hochwertigen Nahrungsmittel, die ihm zugeschickt wurden, behielt nur für sich die Pflanzen und Rohkost. Seit Dezember 1943 litt er an Durchfall, hatte Venenentzündung und leichtes Fieber. Er war nicht zu bewegen, sich in Behandlung im Revier zu begeben; gute Betreuung wäre ihm gewiß gewesen. Erst als er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, kam er am Abend des 24. Januar 1944 ins Revier. Kaplan Maurath, der damals als Krankenpfleger im Revier arbeitete, brachte Pfarrer Schneider auf dem Seuchenblock die Kunde. Franznick wünschte die ersten Tage keinen Besuch, weil er sich so schwach fühlte. Als Pfarrer Schneider sich in der Frühe des 27. Januar auf den Block schlich, wo Fränznick lag, erfuhr er, daß er in der Nacht an Embolie gestorben sei. Pfarrer Schneider veranlaßte die Sektion durch einen ihm bekannten Professor Ahi aus Prag. Der stellte fest: Staublunge, Darmtyphus, Erkrankung der Leber und Nieren, und schloß sein Gutachten mit den Worten: Wenn er nicht an Embolie wegen der schweren Venenentzündung gestorben wäre, so war er wegen der Erkrankung aller wichtigen Innenorgane doch ein Totgeweihter. Da erst am 27. Januar sein Tod registriert wurde, ist nicht der 26. Januar als Todestag notiert. 6. Am 25. April 1945 erlitt ebenfalls den Tod durch Flecktyphus Pfarrer Max Gr af von Unteralpfen. Er kam erst im Februar 1945 nach Dachau, und alle Bemühungen, ihn aus dem Zugangs- und Seuchenblock 25 auf den Priesterblock 26 zu bringen, scheiterten. Dem Seuchenblock 25 gegenüber lag der Priesterblock 26 mit seiner Kapelle. Es war für den Confrarer recht schmerzlich, nur wenige Schritte davor durch Drahtabsperrung abgehalten zu sein. Den Trost hatte Pfarrer Graf, daß ihm täglich durch den Draht die hl. Kommunion zugereicht werden konnte. Pfarrer Schneider überbrachte bei seiner Entlassung am Karsamstag 1945 von Waldshut aus die Grüße des noch Inhaftierten und sprach die Erwartung aus, daß er in Bälde gesund auch nach Unteralpfen zurückkehrt. Doch im Juni 1945 wurde sein Tod bekannt, kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner. Statt Pfarrer Graf in seiner Pfarrei begrüßen zu können, blieb Pfarrer Schneider die schmerzliche Aufgabe, die Gedächtnispredigt dem letzten Opfer Freiburger Priester in Dachau zu halten. Fünf Priester der Erzdiözese Freiburg fanden in Dachau den Tod und das Grab. Wenn auch von den H. H. Pfarrern Bernhard, Feuerstein und Fränznick Aschenurnen an die Angehörigen übersandt wurden, so ist doch das unzweifelhaft nicht die echte Asche ihrer verbrannten Leichen. Denn es fand ja keine Einzelverbrennung statt, und man nahm nur aus der Aschenmasse etwas für die Urnen. In irgendeinem Aschengrab ruht ihr Gebein bis zum Tage der Auferweckung. Die sterblichen Überreste von Kaplan Spies und Pfarrer Graf ruhen mit tausenden im Lager aufgefundenen Leichen in den Massengräbern, die durch die Amerikaner angelegt wurden. über diese Gräber der Namenlosen darf man die Inschrift schreiben: Gelitten, gestritten für Freiheit und Ehr', Ihre Namen kennt nur Gott, der Herr! Neben dem Priestersterben verdient auch das Priesterleben im Konzentrationslager einer Würdigung. Ursprünglich in den verschiedensten Lagern und auf zahlreichen Blocks und Kommandos zerstreut, haben die Priester nicht unterlassen, trotz allen strengen Verboten priesterliche Tätigkeit auszuüben. Sie setzten sich der Gefahr aus, denunziert oder erwischt zu werden, und mußten dafür grausame Strafen erleiden, selbst den Tod. Im Lager waren unter den inhaftierten Priestern mehrere, die deswegen, sogar mehrmals, auf den „Block" kamen, d. h. mit 25 Doppelschlagen aufs Gesäß bestraft wurden. Dazu gehört auch von den Freiburgern Kaplan Emil Kiesel. Zu den eifrigsten und wagemutigsten Seelsorgern im Lager zahlen die Jesuitenpatres Otto Pies und Johannes Lenz und der Speyerer Pfarrer Fritz Seitz, um nur einige zu nennen. Mit der Zusammenführung der Priester im KZ Dachau und der Errichtung des Priesterblocks wurde für die KZ-Priester eine Vita communis geschaffen, die sich segensvoll auswirkte. Zentralpunkt dieser Gemeinschaft bildete die Lagerkapell e. Am 21. Januar 1941 wurde sie eröffnet. Hier versammelten sich die Priester in der Morgenfrühe zum gemeinsamen hl. Opfer. Hier holten sie sich Trost und Kraft, um all das Schwere zu tragen, das die Haft mit sich brachte. Hier beteten sie still den Kreuzweg, um ihr Kreuz willig und ergeben zu tragen. Unvergeßliche Erlebnisse für die Überlebenden von Dachau! Unvergeßlich die Priesterweihe des Karl Leisner am 3. Adventssonntag, dem 17. Dezember 1944, und dessen erstes und einziges hl. Meßopfer am Stephanustag 1944. Dem Teufel war „Christus hinter Stacheldraht" ein Dorn, und er fand Helfer, diesen zu beseitigen. Nicht nur die SS, auch Häftlinge atheistischer Weltanschauung versuchten die Beseitigung der Kapelle. Überall lauerten Spitzel, die der Lagerleitung Übertretungen der Lagerordnung hinsichtlich der Benutzung der Kapelle zu melden suchten. Es gab ja unter den jugendlichen Geistlichen unkluge Heißköpfe genug, die sich über die angeordneten Einschränkungen für die Kapelle hinwegsetzen wollten und so die Gefahr heraufbeschworen, daß die Kapelle geschlossen wurde. Blockschreiber und Lagerdekan Georg Schelling aus Vorarlberg, einer der am längsten inhaftierten Priester deutscher Zunge, hatte da einen schweren Stand gegenüber seinen unverständigen Confratres. Welche „Geister" in Köpfen von Häftlingen spukten, zeigt am besten deren Anregung, sogar das im Lager 1944 errichtete Bordell in die Lagerkapelle zu verlegen. Nur die Disziplinhaftigkeit der Mehrzahl der Priester bewahrte die Lagerkapelle vor dem Untergang. Streng liturgische Feiern, kirchenmusikalische Einlagen, darunter neue Kompositionen von P. Gregor Schwake OSB und dem am 5. 2. 1945 in Buchenwald hingerichteten Karl Schrammel aus der Diözese Leitmeritz erhellten und verschönten die Ode und Trostlosigkeit des Lagerlebens. Bis zum Sommer 1942 war es auch möglich, besondere wissenschaftliche Zirkel aufzutun, um im geistigen Leben nicht rückwärts zu schreiten. So leitete P. Maurus aus St. Matthias in Trier einen liturgischen Zirkel. P. Dr. Sales aus Münsterschwarzach einen homiletischen Zirkel u. a. m. In den Wohnräumen drängten sich mit der Zeit bei zunehmender Belegung die Priester immer mehr enger zusammen. Hatte jeder anfangs noch sein eigenes Bett, dann mußten später zwei, ja drei und mehr sich in dieses Lager teilen. Das Zusammengepferdusein vermehrte noch die Nervosität und Gereiztheit der Bewohner, die ja schon genug mit ihren Nerven herabgewirtschaftet waren durch Unterernährung und die mannigfachen Schikanen, die sie als Priester besonders bis Herbst 1942 erdulden mußten. Viel Menschliches, allzu Menschliches war da festzustellen. Doch im allgemeinen ging nur in seltenen Fällen die Selbstbeherrschung verloren. Das Pauluswort: Ertraget einander, helfet einander blieb doch Leitgedanke der zusammengepferchten Herde. Die Beurteilung des Klerus der im Lager vertretenen einzelnen Nationen ergibt ein buntes Bild. Am zahlreichsten war der polnische Klerus vertreten. Er hat furchtbare Blutopfer gebracht. Welt- wie Ordensklerus war recht fromm, ein Teil des Weltklerus hing sehr an gutem Essen und an Geld. Ein polnischer Geistlicher frug einen deutschen, was er zum Frühstück zu sich nehme. Als dieser sagte Milchkaffee mit Brötchen, Butter oder Gelee, bekam er zur Antwort: „Das essen ja bei uns die armen Leute." Ein Erlebnis von Pfarrer Schneider illustriert die aurea sacra fames manches polnischen Geistlichen. Als er einmal wegen seiner Furunkulose zur ambulanten Behandlung ins Revier mit polnischen Confratres kam, überschüttete ein Pfleger die polnischen Geistlichen mit einer Flut von Beschimpfungen, deren Inhalt sich gerade mit Geldsachen befaßte. Pfarrer Schneider frug nachher den Pfleger, einen Polen, warum er denn eine solche Wut auf die Geistlichen habe. Dieser erzählte ihm, daß er als Arbeiter mit einer Familie und kranken Frau kaum das Lebensnotwendigste hatte. Da starb ihm ein Kind. Er ging zum Ortspfarrer und meldete die Beerdigung an. Als dieser an Gebühren 20 Zloty (etwa 10 RM) verlangte, gab der Arbeiter zurück: Herr Pfarrer, ich habe wegen der Erkrankung meiner Frau noch nicht 5 Zloty im Haus. „Da kann ich auch Ihr Kind nicht beerdigen", erwiderte der Pfarrer. Der Arbeiter habe dann eigenhändig sein Kind ins Grab gelegt, während vom nahen Pfarrhaus aus der Pfarrer dieser Beerdigung zuschaute. Die Schilderung kam Pfarrer Schneider unglaublich vor. Er erzählte sie einem polnischen Confrater aus der Diözese Gnesen, namens Schreiber, wirklich ein edler Priester, der leider am 16. September 1942 hungers starb. Dieser bestätigte solche Mißgriffe und erzählte von einem Geistlichen, der für die Beerdigung seines Nachbarpfarrers von dessen Schwester 700 Zloty verlangte und den letzten Zloty hinwegnahm. Als dessen Bischof davon hörte, mußte dieser den „Geizkragen" unter Androhung der Suspension zwingen, den Betrag wieder zurückzuzahlen. Aus Gesprächen mit deutschen Ordenspriestern, die in Polen wirkten und auch dort verhaftet und nach Dachau gebracht wurden, konnte derselbe geschilderte Eindruck gewonnen werden. Die Gesinnung des polnischen Klerus gegen die Deutschen war eine zurückgehaltene Feindschaft. Sie resultiert unter konfessionellem Aspekt aus der preußischen Polenpolitik, unter nationalen Vorzeichen aus dem Einfall der NSDAP in Polen. Jegliche Schädigung hielten sie für recht und Mundraub an Deutschen für keine große Sünde, selbst wenn einer dabei die ganze Tagesration Brot hinwegnahm und der Bestohlene 24 Stunden ohne feste Nahrung hungern mußte. Nach den Polen waren die deutschen und österreichischen Geistlichen am meisten vertreten. Die Diözese Linz stellte die meisten Häftlinge, darunter ihren Generalvikar Dr. Ohnmacht. Süddeutsche und österreichische Geistliche hatten in ihrem Wesen viel Gemeinsames. Gegen die Norddeutschen, besonders östlich der Elbe, bestand eine gewisse Abneigung; der preußische Ton war den gemütlichen Österreichern zuwider. Geistliche aus allen deutschen Diözesen, außer Bamberg und Eichstätt, waren vertreten. Münster und Freiburg stellten der Zahl nach die meisten. Begreiflich: Waren ja Bischof August von Galen und Erzbischof Conrad Gröber die Staatsfeinde Nr. 1 und 2 in den Augen der SS, und weil man diese erst nach dem „Endsieg" auch nach Dachau bringen und „unter SS-Jubel" empfangen konnte, so holte man vorläufig ihre Mitarbeiter in der Seelsorge. Prozentual stellte die Diözese Meißen die meisten Priester. Es war vorweg jüngerer Klerus, der wegen Arbeit mit der Jugend sich den Unwillen der SS zugezogen hatte. Den österreichischen Klerus muß man als etwas weich beurteilen und seelsorgerisch noch zu traditionsgemäß. Unter dem deutschen Klerus waren wagemutige Köpfe, die auch im Lager ihrem Seeleneifer keine Schranken setzten, durch ihre Hilfsbereitschaft wie Gebefreudigkeit nach dem Einsetzen der Paketsendungen sich höchster Achtung bei allen Lagerinsassen, ohne Unterschied der Konfession und Nation, erfreuten. Sie machten wieder gut, was einige verbosten, die auf ihren Lebensmittelpaketen sitzen blieben und „lieber verderben ließen, als etwas hergaben". Einige deutsche Geistliche trugen den rosaroten Winkel der wegen § 175 Verurteilten. Die Unglücklichen mußten von der SS viel Bitteres erleiden. Es waren krankhaft veranlagte Menschen, die gerechterweise in eine Verwahrungsanstalt gehörten und nicht in ein „Umschulungslager". Es waren Menschen mit hohem Intellekt, aber ganz schwachem Willen, in denen das Weib sich regte und nicht der Mann. Es waren Menschen, die Mitleid verdienten, nicht Abscheu. Eine „Untugend" bedarf der Erwähnung, besonders unter dem deutschen Klerus: die Sucht zu rauchen. So sehr waren viele dieser Sucht verfallen, daß sie auch in den Zeiten schlimmsten Hungers es nicht lassen konnten und so ihr Herz belasteten, daß es nicht mehr das überschüssige Wasser aus dem Körper schaffen konnte. Mancher der 42 verhungerten Priester könnte noch leben, wenn er sich nicht durch sein sinnloses Rauchen selbst das Grab mitbereitet hätte. Unter dem Klerus aus der Tschechei muß man zwischen dem deutschsprachigen und tschechischen unterscheiden. Unter dem deutschsprachigen Welt- und Ordensklerus waren viele laxe Elemente, die einmal Ärgernis ins Lager brachten wegen schlechter Beobachtung des Zölibates und Ärgernis gaben durch ihre Lauheit in religiösen Dingen. Kaum gingen sie sonntags zur hl. Messe. „Das wollen Pfarrer sein und gehen selbst nicht in die Kirche", rief einmal ein kommunistischer Stubenältester. Für sie gab es im Lager nicht die Pflicht, das Brevier zu beten, ihr „Gebetbuch" war die Zeitung. Auf dem Index stehende Bücher lasen sie unbedenklich mit der Bemerkung, daß jetzt für sie der Index aufgehoben sei. Die Einsicht, die Domherr Anton Gebert gewann, wird somit verständlich. Der tschechische Ordensklerus war tadellos. Es waren vor allem die Patres der Jesuiten aus Prag, edle, seeleneifrige Jünger des hl. Ignatius von Loyola. Der Weltklerus wies üble Gestalten auf. Einer schrieb in einem Brief aus dem Lager: „Ich verfluche die Stunde, wo mir der Gedanke kam, Priester zu werden." Diese Worte kamen durch die Lagerzensur unter die Lagerinsassen. Heute trägt der Unglückliche nicht mehr das Priesterkleid. Was man schon im Lager von ihm befürchtete, trat ebenso ein wie bei seinem Gesinnungsgenossen, heute Minister Plojar in Prag. Nationalisten schlimmster Art waren der tschechische Weltklerus. Vor Gott kam das „Land der hl. Wenzelskrone". „Lieber russisch als österreichisch!", rief einmal ein Domvikar aus. Ob er auch heute noch diese Ansicht hat? Aller Anerkennung wert ist der Welt- wie Ordensklerus aus Holland. Im großen und ganzen gilt diese Anerkennung auch dem Klerus von Belgien und Luxemburg. Beim französischen Klerus muß man wohl unterscheiden zwischen Welt- und Ordensklerus. Der Ordensklerus ist weltgewandt und weltweit, ganz katholisch eingestellt. Der Weltklerus ist schlampig und nationalistisch, gerade so wie der tschechische, nicht ganz so gehässig gegen alles Deutsche. Man muß auch dazu den größten Teil des deutschsprachigen Klerus der Diözesen Straßburg und Metz rechnen. Selbst im Lager konnten sie es nicht unterlassen, die Deutschen mit Boches zu bezeichnen; auch Bischof Piket von Clermont-Ferrand machte da keine Ausnahme. Rühmlich ist zu nennen der inzwischen verstorbene Generalvikar von Pau, Msgr. Daguzan, der seinen französischen Tischgenossen auf Stube 26/3 erklärte, wenn sie weiterhin das Wort Boches gebrauchen, breche er die Tischgemeinschaft mit ihnen ab. In Gesprächen mit dem französischen Klerus über die geistige Annäherung beider Nationen und Brückenschlag zu einem friedvollen Leben beider Nachbarvölker waren die Franzosen begeistert von der Anregung, daß der französische Klerus den deutschen besucht; als aber vom deutschen Gegenbesuch gesprochen wurde, kam aus dem Munde der Franzosen ein lautes „Impossible"! Es gibt ein französisches Beaumot: Frankreich macht Gesetze, aber keiner hält sie. Danach wollten auch im Lager die französischen Kleriker wie Laien handeln und die Lagerordnung nicht befolgen bzw. sabotieren wo nur möglich. Es bedurfte größter Anstrengungen, das schlimmste abzuwehren und zu verhüten, daß der Priesterblock und damit auch die Kapelle aufflog. Es war wirklich unklug und gefährlich, die Resistance der französischen Intellektuellen, die deswegen in Dachau waren, auch noch im Lager weiterführen zu wollen. Auf Grund dieser Mentalität erklärt sich auch manches harte, unberechtigte und einseitige Urteil aus französischem Munde über die deutschen Priester in Dachau und die Lagerkapelle. Lagerdekan Schelling hatte gerade den Franzosen gegenüber einen sehr schweren Stand, und Pfarrer Schneider konnte den Kommandoführer Kohn in der Plantage günstig beeinflussen, daß er den Metzer Geistlichen Robert Müller wegen Aufforderung zur Sabotage nicht meldete. Er wäre dem Galgen nicht entgangen, und die Geistlichen wären alle von der Plantage weggekommen, auf was für Kommandos weiß Gott allein, jedenfalls keine guten. Trotz aller nationaler Unterschiede zeigte sich erfreulicherweise kein Unterschied, wenn die ecclesia catholica zum hl. Opfer versammelt war. Alle bekannten sich zu der Una sancta. Als eine Art Splittergruppe konnte man nur die Geistlichen um Pater Kentenich bezeichnen. Sein Versuch, aus Dachau ein zweites Schönstadt zu machen, scheiterte an der Ablehnung durch die Mehrzahl der Geistlichen. Bei der Wahl des Spirituals erhielt die überwältigende Mehrheit gegenüber P. Kentenich der Jesuitenpater Otto Pies. Deshalb verkapselte sich P. Kentenich und hielt nur zu seinen wenigen Anhängern, mit denen er einer gewissen Lächerlichkeit verfiel. Bezeichnend, wie die protestantischen Geistlichen die Schönstadt-Bewegung kennzeichneten: „Die Äffchen unserer lieben Frau" nannten sie diese Gruppe. Erzbischof Dr. Gröber war in ihr wegen der Ablehnung der Schönstadt-Bewegung persona minus grata. Und doch war er unter allen Häftlingen neben Bischof August Graf von Galen von Münster am meisten geachtet. Beide Bischöfe waren ja Staatsfeinde Nr. 1 und 2 in den Augen der SS; das wußten die Häftlinge aus den Äußerungen und dem Wutgeheul auf Predigten beider Kirchenfürsten, die heimlich ins Lager gebracht, vorsichtig von Hand zu Hand zum Lesen weitergegeben wurden. Erzbischof Dr. Conrad Gröber wurde zuallererst lagerbekannt dadurch, daß er an seine in Dachau befindlichen Priester schrieb. Den ersten Brief bekam Pfarrer Schneider; er war in der Zensur arg beschnitten worden. Teile seines Inhaltes waren herausgeschnitten. Aber trotz allem war zu erlesen die Anteilnahme des Bischofs, sein Bemühen um ihre Freilassung und die ermunternden und tröstenden Worte. Auf allen Blocks des Lagers wurde der Brief herumgereicht. Erst viel später begannen andere Bischöfe diese Korrespondenz mit ihren Priestern. Doch scheinbar nicht alle! Denn Geistliche einiger Diözesen waren voller Bitternis gegen ihren Oberhirten, der ihnen Vorhaltungen machte nach der Verhaftung, ja sogar ins Gefängnis ein Formular sandte, nach dem der Inhaftierte auf seine Pfarrpfründe verzichten sollte. Nach ihren Aussagen weigerten sich die Inhaftierten, weil sie dadurch ihre Angehörigen, die im Pfarrhaus wohnten, in bitterste Not und Wohnungslosigkeit gebracht hätten. Erzbischof Dr. Conrad Gröber gebührt über das Grab hinaus die Dankbarkeit dafür, daß er ganz die Sorge seiner inhaftierten Priester für ihre Hausgenossen in großzügiger Weise übernommen hatte. Etwa 50 evangelische Geistliche waren auch auf dem Priesterblock untergebracht. Es waren Deutsche und Holländer. Die deutschen evangelischen Geistlichen waren alle bis auf einen, der heute Landrat in der Ostzone ist, positiv gläubig. Doch differierten sie sehr in ihrer Glaubensmeinung, waren sie ja Lutheraner, Calviner und Unierte. Eine geistige Einheit bildeten eher die evangelischen Geistlichen aus Holland, die sich alle als Reformiert bekannten. Das Verhältnis zwischen den katholischen und evangelischen Geistlichen war stets gut, und bis heute blieben die dort geschlossenen Bande bestehen. Jahr um Jahr ging dahin. Hoffnungen und Erwartungen schwanden, neue wurden gefaßt. Jeder Tag hatte sein gleichbleibendes Programm. Vom Sommer 1942 an durften die Geistlichen sich mit den anderen Häftlingen vermischen und waren nicht mehr extra im Lager isoliert. Lagerkommandant Weiss hatte die Lagerschrecken Zill, Hoffmann und die Bestien von Blockführern aus Dachau weggebracht. Pakete kamen und halfen über Not und Tod. Die Häftlinge gingen der ihnen übertragenen Arbeit nach und verfolgten die Ereignisse an der Front und die Stimmung in der Heimat mit größter Aufmerksamkeit. Mit den Niederlagen in Stalingrad und Nordafrika, noch mehr mit der Invasion der Alliierten in Frankreich lockerte sich die Lagerdisziplin immer mehr. Zugute kam den Gefangenen, daß die Wachmannschaften keine eigentlichen SS mehr waren. Es waren Kriegsteilnehmer von 1914/18, wirklich zumeist gute Kameraden. Hier dürfte es am Platze sein, auch ein Wort der Anerkennung Männern des Lagers und im Lager auszusprechen. Lagerkommandant Weiss war ein menschlich zugängiger Mann. Aus dem Straflager machte er ein Arbeitslager, nahm die Häftlinge in Schutz gegen Roheiten seiner Unterführer, schaffte die grausamen Strafen des „Blocks" und „Baums" ab, ließ Paketpost ohne Einschränkung zu. Im Dachauer Prozeß zum Tode verurteilt, konnten alle Fürbitten der Dachauer Häftlinge ihn nicht retten, weil er von Neuengamme her zu sehr belastet war und es für ihn ein Verhängnis bedeutete, daß er von Dachau weg ins Vernichtungslager Lublin kam. Lagerführer von Redwitz entstammte einem alten bayerischen Adelsgeschlecht. Adlige Gesinnung hatte er sich bewahrt. Er war ein großer Trinker. Human gegen die Häftlinge, konnte man mit ihm offen reden. Wenn er im Dachauer Prozeß zum Tode verurteilt wurde, so deshalb, weil er „Befehle von oben" durchführte, ohne nach seinem eigenen Gewissen zu fragen. Kommandoführer David Kirrmann aus Kehl am Rhein, ein Frontkämpfer von 1914/18, war den Häftlingen gewogen. Bis zum Ende glaubte er an den „Endsieg". Trotzdem er ein treuer »Gefolgsmann des Führers" war, ließ er sich gegenüber den Häftlingen nichts zuschulden kommen, deckte Unregelmäßigkeiten zu und blieb über Dachau hinaus in gutem Andenken. Hauptsturmführer Franz Vogt, der Kommandant auf der Plantage, war einst Müllerbursche bei den aus Serbien ausgewiesenen Zisterziensern, die im ehemaligen Kloster Bronnbach a. d. Tauber ein neues Heim fanden. Seine Frau stammte aus Mannheim. Sie und die beiden Kinder übten auch unbehelligt ihre religiösen Pflichten weiter. Als Pfarrer Schneider von V. gefragt wurde, woher er sei, und erfuhr, daß er die Mönche von Bronnbach kenne, wollte er über Abt Bernhard, Prior Robert und die andern Patres und ihr Schicksal wissen. Oft erkundigte er sich über das Befinden von Pfarrer Schneider. Als im Lager an Häftlingen medizinische Versuche vorgenommen wurden auf der Malariastation des Professors Schilling, auf der Phlegmonestation wie durch Unterkühlung und Unterdruckversuche durch Dr. Rascher, wobei auch besonders Geistliche herangezogen wurden, da setzte sich Vogt für seine Arbeitskräfte auf der Plantage ein, worunter 800 Geistliche waren. Er erreichte, daß kein Arbeiter der Plantage zu Versuchszwecken abgestellt wurde. Oft hat er Pfarrer Schneider beauftragt, Häftlinge zu warnen, die müßig herumstanden und sich der Gefahr aussetzten, von den Posten gemeldet zu werden. Rohe Wachmänner, die sich an den Häftlingen vergingen, stellte er sofort vom Wachkommando ab. Darum hatte er auch beim Dachauer Prozeß der Alliierten so viele Entlastungszeugen, daß er als „entlastet" die Gerichtsstätte verließ. Revierkapo Zimmermann, ein Häftling, war im Gegensatz zu seinem Vorgänger S. H. kein Unmensch. Pfarrer Schneider sah mit eigenen Augen, wie S. H. kranke Häftlinge tötete. Kapo Zimmermann verdankt er selbst seine Rettung vor der Vergasung. Unter den vielen Häftlingen mögen wegen ihrer katholischen, aufrechten Haltung nur den Namen nach erwähnt werden: Bürgermeister Richard Schmitz von Wien, Prinz Xavier de Bourbon-Parma, Caritasdirektor Auer von Freiburg, Arbeitersekretar Joseph Joos von Fulda u. a. m. Vom November 1944 an sah man das Ende herankommen. Die Lager im Osten wurden geräumt, und große Transporte füllten immer mehr das Lager Dachau auf zu einer Menschenmasse, in einer Enge, denen die bestehenden hygienischen Verhältnisse nicht mehr gewachsen waren. Elendstransporte von Juden aus Ungarn, Zeugen der Untaten von Eichmann, brachten neben den Läusen den Flecktyphus ins Lager. Ein Massensterben begann. Oft weit über 200 Tote am Tage waren die schrecklichen Folgen. Der „Moorexpreß", ein von Häftlingen gezogener Rollwagen, konnte den Transport zum Krematorium nicht mehr bewältigen. Tage- und wochenlang lagen die nackten Leichen in den Blockgassen der Seuchenblocks. Die Lagerkost wurde immer miserabler, so daß sie Erkrankungen des Verdauungsapparats hervorrief. Bei dem unbeschreiblichen Elend auf den Seuchenblocks wurden die Geistlichen als Pfleger aufgerufen. Mehr als benötigt wurden meldeten sich deutsche und polnische Geistliche. Sie wurden auf den Elendsblocks von den Kranken wie Boten des Himmels begrüßt. Es hieß Ordnung schaffen an Leib und Seele. Kniefällig erbaten sie die hl. Sakramente; selbst orthodoxe Christen waren darunter. Doch schon nach einigen Wochen erkrankten die selbstlosen Helfer auch an Flecktyphus, und viele Priester waren Opfer ihrer Nächstenliebe. P. Johannes Lenz SJ erkrankte, konnte aber doch wieder gerettet werden. P. Richard Henkes von Schönstadt und P. Engelmar Unzeitig von den Marienhillern in Würzburg mußten daran sterben; sie waren 45 und 35 Jahre alt. Zur gleichen Zeit erkrankte auf dem Block 26 Pfarrer Dr. August Wessing aus Münster an der Seuche und starb am 4. März 1945. Pfarrer Schneider hatte Verbindung mit dem Kapo des Krematoriums. Er konnte erreichen, daß die Leichname von P. Henkes und Unzeitig wie Pfarrer Wessing und des Schwagers des Pfarrers Styp-Rekowski, eines polnischen Geistlichen, der mit drei Geschwistern inhaftiert war, einzeln des nachts verbrannt wurden und die Asche ins Lager gebracht wurde. Pfarrer Schneider schmuggelte die Reliquien in die Plantage, verpackte sie in Kistchen und ließ sie durch seinen Mittelsmann, einen Arbeiter auf der Plantage, Herrn Hans Köchel aus Prittelbach bei Dachau, ins Pfarrhaus nach Dachau bringen, von wo sie dann weiterbefördert wurden. Während dieser gefährlichen Aktion schlug für Pfarrer Schneider die
Befreiungsstunde
Am Dienstag, dem 27. März 1945, kam kurz vor Mittag Pfarrer Albert Riesterer, der im Gewächshaus II arbeitete, zu Pfarrer Schneider und sagte ganz aufgeregt: „Du, schaff die Kistchen, zwei waren noch da, fort. Wir werden heute Mittag gefilzt. Eben haben sie P. Otto Pies geholt. Da ist wieder was geplatzt. Wenn sie dich erwischen, kommst du an den Galgen." „Die sind gut versteckt", gab er zur Antwort. Beim Einrücken zum Mittagessen standen acht Priester am Lagertor, neu eingekleidet, und winkten ein Lebewohl zu. Unbeschreiblicher Jubel im ganzen Häftlingslager. „Sie kriechen unters Kreuz; sie lassen die Pfaffen frei!", war ein vielgehörtes Wort. Am Abend hörte man, daß eine Liste von ca. 50 Geistlichen aufgestellt sei, die entlassen werden sollten. Pfarrer Schneider und Pfarrer Emil Thoma wurden auch genannt. Doch Pfarrer Schneider war da ganz ungläubig. Seine bisherige Erfahrung faßte er zusammen mit der Erwiderung: „Ich glaube, daß ich entlassen werde, wenn das Lagertor hinter mir zu ist." Man hatte ihm schon einmal im Dezember 1941 Hoffnung gemacht, daß er entlassen wird. Er mußte zur Vernehmung zu Oberscharführer Bach, aus Bühl i. B. gebürtig, dem Gestapo-Chef des Lagers. Vor ihm lag, wie Pfarrer Schneider abspicken konnte, ein Entlassungsgesuch ehemaliger Regimentskameraden F.A. Rgt. 66 in Lahr, unterzeichnet von Oberst Iffland, General Kraft u. a., aber auch ein weiteres Schriftstück, offenbar der Kreisleitung Säckingen oder vom Ortsgruppenleiter von Karsau. „Dich kann man nicht entlassen, du kannst die SS nicht leiden", war das erste, was Pfarrer Schneider zu hören bekam. Dann kam eine Flut von Schmahworten: „Du bist ein saudummer Kerl, hast keine Prüfungen bestanden, darum bist du Pfaffe geworden." Pfarrer Schneider würdigte ihn keiner Antwort. Bach fuhr fort: „Und wenn ihr dann fertig seid, macht ihr den Leuten die Hölle heiß beim Sterben, so daß sie euch alles vermachen, damit ihr dann Freß- und Saufleben führen könnt, die Knaben verführt, die Mädchen schändet usw." Die Feder sträubt sich, alles wiederzugeben. Da packte Pfarrer Schneider die Wut, und er gab zurück: „Herr Oberscharführer, ich will Ihnen etwas sagen: Wenn jemand eine fromme Stiftung macht, und der Inhaber der Stiftung handelt so, wie Sie eben sagten, da sorgt der Herrgott dafür, daß die Stiftung bald verreckt, sei es durch eine Inflation oder Säkularisation oder wie man das Ding sonst nennt." „Was sagst du da?", gab Bach zurück. Nochmals wiederholte Pfarrer Schneider seine Worte, und Bach sagte: „So habe ich noch keine Antwort bekommen!" Also ein altes Sprüchlein, das viele schon hören mußten! Es gab noch ein langes Hin und Her an Rede und Widerrede. Es endete damit, daß Bach Pfarrer Schneider einen Stoß gab, daß er in eine Ecke flog. Dieser schaute ihn lächelnd an. Bach schrie voll Wut: „Schau mich nicht so saudumm an!" Pfarrer Schneider antwortete: „Herr Oberscharführer, ich kann Sie nicht dümmer anschauen, als ich bin!" Da flog er aus dem Vernehmungsraum hinaus! Seitdem waren drei Jahre vergangen, und Pfarrer Schneider hatte alle Hoffnung aufgegeben, vor dem Ende des Nazismus aus Dachau zu kommen. Jetzt stand er auf der Liste der zu entlassenden Geistlichen, weil, wie man später erfuhr, zuerst diejenigen entlassen wurden, für die seit Jahren Entlassungsgesuche vorlagen. Am Mittwoch der Karwoche, dem 28. März, wurden am Morgen nach dem Zählappell 24 Geistliche herausgerufen, Darunter waren Kaplan Habich und Pfarrer Thoma; von den meisten hatte man schon tags zuvor von ihrer bevorstehenden Entlassung gehört. Überall unter den Geistlichen auf den Arbeitsplatzen ein Raunen und Tuscheln, ein freudigeres Hoffen. Am Gründonnerstag, dem 29. März, kam ganz unerwartet die Stunde der Freiheit. Nach dem Morgenappell wurden keine Geistlichen herausgerufen. Das Kommando: Arbeitskommando gruppieren! war gegeben. Gerade war der Befehl zum Abmarsch gegeben, da kam der Blockschreiber 26, Lagerdekan Schelling, gerannt und rief laut: Halt! Halt! Er lief die Hundertschaften entlang. Pfarrer Schneider marschierte am Ende der letzten Hundertschaft. „Schorsch, was ist los?", rief er Schelling zu. „Geh heim, du bist entlassen!", gab er zur Antwort. „Hurra, ich bin frei! Kopf hoch! In vier Wochen ist der Schwindel rum", war der Abschiedsgruß an alle. Noch ein Händedruck, zurück gings in den Block, die Habseligkeiten wurden gepackt. Zur Kleiderkammer; in Zivilkleidung gesteckt, weil die eigenen Effekten einmal im Lager verbrannt waren. Dann gings auf die Kommandantur. Eine Erklärung, daß man im Lager sich keine Krankheiten zugezogen hat, ans Lager keine Forderungen stellt, über die Vorgänge im Lager schweigt usw. mußte unterschrieben werden. Reisegeld, Reiseproviant wurde ausgegeben. Und dann ging es mit vier anderen Glücklichen zum Lagertor hinaus. Es war 11.15 Uhr, als endlich das Konzentrationslager Dachau hinter den Häftlingen lag. Frei!, welche Wonne nach 55 Monaten! Dies Gefühl zu beschreiben, dazu fehlten die Worte. Pfarrer Schneider erlebte 1940 einmal diese Szene. Der Glückliche hatte keine Worte mehr. Er legte sich auf den Boden und streckte die Füße in die Höhe wie ein kleines Kind. „Morgen bin ich daheim, morgen hat meine Frau Geburtstag!", das war alles, was er herausbrachte. Nun konnte Pfarrer Schneider wirklich seinen Kopf wieder nach Hause bringen. Im August 1944 waren in Verbindung mit dem Attentat auf Hitler die sozialistischen und kommunistischen bad. Abgeordneten verhaftet und nach Dachau gebracht worden; darunter waren Bock, Heim, Heimstädter, Marzloff u. a. m. Als alle wieder bis auf Heim und Heimstädter sie starben dann im Lager entlassen wurden anfangs Oktober 1944, ließ Pfarrer Schneider Erzbischof Dr. Conrad Gröber durch Marzloff, der ja in Freiburg wohnte, Grüße bestellen und ausrichten, daß er seinen Kopf noch oben trägt nach vier Jahren und hofft, ihn auch nach Hause zu bringen. Allerdings war diese Hoffnung gerade gegen Ende des Lagers recht trügerisch! Am Bahnhof Dachau traf Pfarrer Schneider seinen getreuen Spitzel, Leo Pfanzer; er war bereits in der Plantage gewesen und hörte dort, daß Pfarrer Schneider entlassen sei. Zwei Tage vorher war er abends noch in die Plantage gekommen und brachte keine gute Nachricht aus der Gauleitung München. Es war von Berlin der Befehl gekommen, alle Lagerhäftlinge zu erschießen. Pfarrer Schneider frug Leo Pfanzer, ob da die SS auch genug Munition hätte. Da erwiderte Pfanzer, der Lagerkommandant hätte diese Art der Beseitigung für unmöglich erklart, weil er nur 10 000 Schuß Munition hätte und die doppelte Zahl Häftlinge. An diesem Morgen mußte Leo Pfanzer berichten, daß an den Fliegerhorst Schleitheim das Ansinnen gerichtet wurde, das Lager Dachau durch Bomben zu zerstören, doch die Flieger lehnten es kategorisch ab. So blieb nur noch der SS übrig, das Lager in die Luft zu sprengen und dann alles zu verbrennen. Doch mißlang diese Schurkentat, weil der USA-General Patton rasch angriff und zwei Stunden den SS zuvorkam; ebenso scheiterte die Ermordung der 10 000 Häftlinge, die man in die Berge führte, um sie dort umzulegen. Da wären auch noch Geistliche aus Freiburg umgekommen, die den "Zug der 10 000" mitmachten und zum Teil entflohen, bevor amerikanische Truppen die Unglücklichen bei Bad Tölz befreiten. Bei Leo Pfanzer nahm Pfarrer Schneider nach 55 Monaten zum ersten Male wieder an einem gedeckten Tisch das Mittagsmahl ein bei Sauerkraut und Speck, bayerischem Bier, wirklich als Mensch behandelt und nicht als eine Nummer. Um 13 Uhr fuhr ihn der Zug aus Dachau hinaus, München zu. Ein letzter Blick hinüber aufs Lager. Wie viele Erinnerungen, wie viele Kameraden, die ganz dort blieben. Gott allein weiß, wo ihre Asche, ihr verscharrter Leib ruht! Der „Hölle von Dachau" entronnen. Te Deum laudamus, Ostern, auferstehen schon am Gründonnerstag! Ohne Fahrkarte wurde in den Zug nach Lindau umgestiegen, sonst müßte man sich eine Genehmigung bei der Polizei holen, weiter als 30 km fahren zu dürfen. Eine Bahnschaffnerin, die Pfarrer Schneider als Häftlingspriester erkannte und begrüßte mit den Worten: Gott sei Dank, daß man euch Priester endlich frei läßt, war die Helferin dazu. Der Weg über Lindau, nicht über Ulm, war deshalb gewählt worden, weil die Auslandssender, die im Lager heimlich, freilich unter Todesgefahr, gehört wurden, die Nachricht gebracht hatten, daß Ulm und die Donautalstrecke mit Bomben belegt worden waren. So war ein Durchkommen über Lindau sicherer. In den Abend hinein fuhr der Zug und brachte den Glücklichen immer weiter weg von Dachau. Wie gerne hätte er den Weg nordwestwärts genommen, der Heimat zu; allein, er wußte über die Fremdsender, daß bereits im Maingebiet die amerikanischen Truppen operierten und Nordbaden auch die Befreiungsstunde vom Nazismus winkte. Unterwegs wurde bekannt, daß Pfarrer Schneider aus Dachau kommt. Mit Glückwünschen wurde er überhäuft, sogar von der Militärkontrolle im Zug. Anstandslos stellte der Schaffner einen Fahrschein MünchenLindau aus. Die ersten Stunden des Karfreitags hatten schon geschlagen, als endlich der Zug in Lindau ankam. Ein französisches Ehepaar, das, arbeitszwangverpflichtet, während eines Bombenangtiffs aus Kassel entflohen war und der Schweizer Grenze zusteuerte, hütete während des Aufenthaltes im Bahnhof das Gepäck als Dank dafür, daß es Rat und Hilfe von Pfarrer Schneider bekam. Dieser konnte so auf dem leeren Perron, ern dem Gewühle im Bahnhof, seine Karfreitagsbetrachtung machen, die mehr schon Ostergedanken enthielt. Die Fahrkarte nach Friedrichshafen übergab eine Bahnbeamtin Pfarrer Schneider nach dem „deutschen Blick" mit den Worten: So, lassen euch die Lumpen endlich frei! In Friedrichshafen war wieder vier Stunden Aufenthalt, bis das Schiff über den Bodensee ging. Da konnte zum ersten Male eine durch Bomben zerstörte Stadt gesehen werden. Als gegen 10 Uhr am Hafen das Schiff bestiegen wurde, kam Kaplan Habich auch aufs Schiff. Er war bereits am Mittwoch entlassen worden, mußte aber wegen den Zerstörungen auf der Bahnstrecke im Donautal über Friedrichshafen weitergeleitet werden. Im hellen Frühlingssonnenschein ging es über den See. Gerade kündeten die Glocken der Stadt Konstanz die Mittagsstunde an, da setzten die beiden Dachauer Häftlinge ihren Fuß wieder auf den Boden der badischen Heimat. Ein reichliches Mahl in der Privatwohnung einer Gaststätte, die voll war mit SS, war gleichsam der Empfang. In St. Stephan empfing Stadtpfarrer F. X. Huber, ein Kursgenosse von Pfarrer Schneider, die Heimkehrer. Dort erfuhr Pfarrer Schneider zu seiner Überraschung, daß er als in Dachau verstorben bekannt sei. Domkapitular Dr. Reinhard, der seit der Ausbombung in Freiburg in St. Stephan wohnte, begrüßte den überraschenden Besuch mit den Worten: „Am nächsten Dienstag wollte ich für Sie eine hl. Messe lesen. Uns hat man in Freiburg mitgeteilt, daß Sie in Dachau verstorben wären." Auch im Münsterpfarramt, wo Generalvikar Dr. Rösch Wohnung gefunden hatte, die gleiche Begrüßung: „Wo kommen Sie denn her? Wir führen Sie als Nummer. Vier der in Dachau verstorbenen Priester", waren die ersten Worte von Generalvikar Dr. Rösch. Um so größer nun die Freude des Wiedersehens, daß eine schlechte Nachricht unwahr war! Mit Eintritt der Dunkelheit führte die Bahn die beiden Dachauer ins badische Land hinein, Pfarrer Schneider bis Immendingen, Kaplan Habich nach Braunlingen. Im Bahnhof Immendingen verbrachte Pfarrer Schneider die Nacht auf den Karsamstag. Ein Soldat saß am gleichen Tisch, der aus Beuggen war, ein Pfarrkind, der Pfarrer Schneider erst erkannte, als er sich ihm zu erkennen gab. Früh 5 Uhr ging ein Zug nach Waldshut ab. Durch die Kontrolle erfuhren im Zug anwesende Zöllner, daß Pfarrer Schneider aus Dachau kam. Gleich kam einer zu ihm und frug, ob es in Dachau so schlimm zugegangen sei. Er habe von Mißhandlungen durch die SS, von Hunger und übler Behandlung gehört, Pfarrer Schneider wußte, daß die „Grenzer" fast alle ehemalige SS waren, daher war Vorsicht am Platze. „Sehe ich so ausgehungert aus?", war die Antwort. Er versicherte, daß er niemals von einem SS getreten worden ist, daß Lagerkommandant Weiss und Lagerführer von Redwitz wie Hauptsturmführer Vogt Menschen mit Humanität und Gerechtigkeitssinn waren usw.; jedenfalls konnte der Frager in nichts seine Wiederverhaftung gleich bei der Ankunft in Waldshut erreichen. Im Pfarrhaus wurde zunächst einmal Toilette gemacht. Dann ging es in die Kirche; es war gerade Sanctus der Messe von Sabbato Sancto. Nach derselben begab er sich in die Sakristei. „Richard, wo kommst du denn her?", rief laut Stadtpfarrer Tröndle. „Das kannst du dir denken", gab Pfarrer Schneider zurück. Und dann ein freudiges Begrüßen, besonders vom ehemaligen Stadtpfarrer Bieser, der immer wieder sagte: „Ja, ist es denn möglich!". Im Nu wußte man in Waldshut, daß Pfarrer Schneider von Dachau zurück sei, und Glückwünsche wie eine Menge von Gaben wurden ins Pfarrhaus gebracht. Bis zum Abend, wo erst ein Zug nach Rheinfelden ging, verbrachte Pfarrer Schneider in Bekanntenkreisen. Um 7 Uhr abends ging der Zug Beuggen zu. In Dachau hatte man Pfarrer Schneider die Auflage gemacht, daß er nicht nach seiner Pfarrei zurückkehre. Scheinbar nahm er die Auflage an und gab als Aufenthaltsort Stühlingen an. Doch frug er in Wirklichkeit nichts mehr nach SS-Befehlen und kehrte dorthin zurück, von wo er widerrechtlich 55 Monate ferngehalten wurde. In Säckingen stiegen Pfarrkinder zu, aber sie erkannten Pfarrer Schneider nicht, selbst dann nicht, als er nach 8 Uhr aus dem Zuge stieg. Durch Stadtpfarrer Bieser war entgegen dem Wunsche des Heimkehrers das Pfarramt Beuggen verständigt worden, daß Pfarrer Schneider mit dem Abendzug heimkommt. Freilich wurde diese Nachricht erst mit Zweifel aufgenommen, weil am Nachmittag aus Freiburg die Mitteilung gekommen war, daß Pfarrer Schneider in Dachau verstorben sei. So glaubte der Pfarrvikar E. Philipp erst, er solle in Waldshut die Asche des Verstorbenen abholen. Als aber alles sich geklärt hatte, war man zum Empfang am Bahnhof entschlossen. Die Auferstehungsfeier war zu Ende, die Gläubigen hatten sich verlaufen, nur einige Beichtkinder waren noch in der Kirche, als mit Pfarrvikar Philipp Pfarrer Schneider seine Kirche wieder betrat. So erfuhren nur wenige die Heimkehr ihres Pfarrers. [4 Freib. Diozes.-Archiv Bd. 90. 3 F., 22] Noch am Abend begrüßte der überglückliche Heimgekehrte die Confratres der Umgebung am Telefon. Und als er am Oster sonnt ag, dem 1. April 1945, nach 1666 Tagen wieder an den Hochaltar der Pfarrkirche trat, erkannte die glaubige Gemeinde ihn erst, als er sich dem Volke zuwandte. Ein lautes „0 jeh!" ertönte durch die heiligen Hallen. Und ein freudiges Te Deum aus lauten Kehlen beendete den ersten Gottesdienst nach vier Jahren, 6 Monaten und 23 Tagen. Es war Auferstehungsfeier in doppeltem Sinne. Alleluja! Die kommenden Tage wollten die Gratulanten im Pfarrhaus Beuggen oder am Telefon nicht abbrechen. Aber es kamen auch bereits Warnungen. Denn die Parteibonzen und andere fragten herum, was Pfarrer Schneider über Dachau zu erzählen wußte. Obwohl noch Stillschweigen bewahrt wurde, weil ja die ganze Gegend von SS-Militär wimmelte, so war Gefahr nicht ausgeschlossen. Denn wenn man von Berlin aus alle Lagerinsassen töten wollte, so konnte die Entlassung der deutschen Geistlichen nicht auf Grund einer Gesinnungsänderung und aus Wohlwollen geschehen sein. Pfarrer Schneider bereitete deshalb alles zur Flucht vor, sei es in den Hotzenwald in das abgelegene Elternhaus vom verstorbenen Domkapitular Huber oder nach der Schweiz über das Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt. Hier begünstigte die Fluchtmöglichkeit ein Klosterbruder aus Maria Tann bei Villingen, der dort immer des Nachts Wache stand. Unter den Gratulanten war auch Erzbischof Dr. Gröber. Er begrüßte unter dem 6. April Pfarrer Schneider als parochus redivivus. In einem weiteren huldvollen Schreiben vom 10. 4. 1945 bedauerte Exzellenz, seine Mutter durch seinen Brief vom 9. März 1945 falsch informiert zu haben. In diesem Briefe sprach er meiner Mutter das herzliche Beileid aus über den Tod ihres geistlichen Sohnes im KZ Dachau. Wie es zu dieser Todesnachricht kam, laßt sich nur vermuten. Nahe liegt folgendes: In seinen Briefen, die alle 14 Tage geschrieben werden durften, hat Pfarrer Schneider unter Verwendung von seinem zweiten Namen Alois, den er im Lager niemals angegeben hatte, und Orten, wo er im 1. Weltkrieg im Lazarett lag, und durch Umschreibungen, die die einfältigen Briefkontrolleure nicht verstehen konnten, über die Seuchen im Lager wie über seine schwere Lebererkrankung berichtet. Seine Mutter hat darüber allzu unvorsichtig erzählt. So wurde mehr als gewünscht bekannt, daß Pfarrer Schneider schwer erkrankt ist im Lager Dachau. Leicht war es nun, daß da jemand dann vom Tode in Dachau weitererzählte. Dies hörte Stadtpfarrer Bär in Wertheim. Dieser erzählte es Dekan Rothermel in Königheim, der es nach Freiburg berichtete. Von da nahm dann die falsche Trauerkunde ihre Runde durch die ganze Erzdiözese. All dies spielte sich Ende Februar, Anfang März 1945 ab. Noch bevor die ersten Briefe des Heimkehrers das Elternhaus erreichten, war dort die Trauer in Freude verwandelt worden. Pfarrer Ott und Pfarrer Adamus aus der Diözese Mainz waren auch entlassen worden und hatten auf dem Heimweg durch das bereits befreite Nordbaden im Kinderheim St. Kilian in Walldürn bzw. Institut der armen Schulschwestern in Amorbach, wo eine Tante von Pfarrer Schneider Klosterfrau ist, auf die Frage, wie Pfarrer Schneider ums Leben gekommen ist, geantwortet, er sei mit ihnen entlassen worden. Von Walldürn und Amorbach wurde am 17. April zur gleichen Stunde in sein Elternhaus die Freudenbotschaft gebracht, daß Pfarrer Schneider am Leben ist und in der Karwoche aus Dachau entlassen wurde. Das endgültige Ende aller Furcht vor der SS und damit die endliche Freiheit brachte der 25. April 1945. Französische Truppen drangen im Hochrheintal vor und drängten ohne blutige Kampfhandlungen die dort operierenden SS-Verbände über den Randen nach Osten zurück. Kaum waren die französischen Truppen nach Beuggen gekommen, da erschien schon ein französischer Offizier im Pfarrhaus und fragte nach Abbe Schneider. Er hatte schon gehört, daß er in Dachau war, und wollte von verschiedenen französischen Häftlingen wissen, die in Dachau weilten: Bischof Piquet, Prinz Xavier de Bourbon, Herr Granger und seiner Schwägerin Frau Granger, der Tochter des Generals Gireaud, Robert Blum u. a. m. Bis auf Frau Granger konnte er gute Kunde bringen, daß alle am Leben sind. Von Frau Granger erfuhr Pfarrer Schneider später, daß sie im Lager Ravensbrück umgekommen ist. Ihre vier Kinder befreiten amerikanische Truppen in Oberbayern. Ein alter Freund, der im Mai 1945 starb und als schönste Osterfreude die Kunde der Befreiung von Pfarrer Schneider vernommen hatte, schrieb ihm in seinem letzten Brief, daß er in Dachau „Haare und Zähne" habe lassen müssen. Dies trifft ziemlich genau zu. Infolge der langjährigen Unterernährung waren die Zähne zum Teil ausgefallen, oder Paradentose machte die Entfernung der restlichen notwendig. Der allgemeine Gesundheitszustand war nicht mehr der frühere. Immer mehr zunehmende Gelenkschmerzen, Deformierungen der Füße, Spondylose der Gesamtwirbelsäule, kurz Polyarthrosis, sind und bleiben die „Andenken an Dachau". Alle, die vor 1943 nach Dachau gekommen waren, werden körperliche oder geistige Schädigungen erlitten haben, und der eine wird an Schmerzen, der andere am „Lagerkoller" leiden. Zusammenfassend darf jeder Davongekommene mit dem Propheten Jeremias (3, 22) sagen: Misericordiae Domini, quia non sumus consumpti. Gnade und Erbarmen, daß man die furchtbare Zeit überstand. Gnade, daß man nicht früher entlassen wurde, weil mancher früher Entlassene dann dem Volksgerichtshof verfiel und hingerichtet wurde. Gnade und Erbarmen, weil in und außerhalb des Lagers Menschen mit Herz und Opfersinn an der Rettung der Unglücklichen mitwirkten. Gnade, weil diese Stunden, Tage und Jahre zur Selbstbesinnung und Reife beitrugen. „Ein zweites Priesterseminar" nannte man nicht zu Unrecht den Aufenthalt in Dachau.
Quelle: Bericht des Pfarrers Richard Schneider über seine Erlebnisse im Konzentrationslager Dachau. In: Freiburger Diözesan-Archiv 1970, S. 24–51 (Originalbericht)
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