Wie der gebürtige Hundheimer Pfarrer Richard Schneider auch, war Pfarrer Friedrich Hemmer im KZ Dachau interniert. Sein nachfolgender Bericht beschreibt seine Erlebnisse in knapper Form.
Bericht des Pfarrers Friedrich Hemmer
1. Verhaftung am 1.1.1940 in Röhrenbach, Kreis Überlingen
Grund der Verhaftung: Im Dezember 1939 lobte ich beim Gottesdienst polnische Kriegsgefangene, die in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben arbeiteten und den Sonntagsgottesdienst regelmäßig besuchten, wegen ihres ehrfürchtigen Benehmens und Verhaltens. Diese meine Kanzelbemerkung wurde offenbar vom Ortsgruppenleiter, dessen Namen ich vergessen habe, beim Kreisleiter in Obedingen angezeigt. Am 1. 1. 1940 in aller Frühe kam die Gestapo, verhaftete mich und brachte mich sofort ins Gefängnis nach Konstanz. Wohl war der viermonatige Aufenthalt schwer, aber die Behandlung durch die Gefängniswärter war nicht schlecht. Meine Schwester Gertrud, die mir den Haushalt führte, durfte mich alle 14 Tage besuchen und frische Wäsche mitbringen. Am 30. April 1940 war die Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Konstanz. Ein Rechtsanwalt, den die Kirchenbehörde von Freiburg beauftragt hatte, dessen Namen ich leider vergessen habe, verteidigte mich. Einige Bauern von Röhrenbach und Wintersulgen gaben Zeugnis zu meinen Gunsten. Der Staatsanwalt, der sehr gehässig war, beantragte eine Gefängnisstrafe von zehn Monaten. Mein Verteidiger erreichte, daß die Gefängniszeit von vier Monaten angerechnet und ich auf Wohlverhalten entlassen wurde. SS-Leute wollten mich sofort nach der Verhandlung nach Dachau bringen - meine Schwester hatte dies gehört und es dem Rechtsanwalt gemeldet, der diese Maßnahme verhindern konnte. Das Kultusministerium verhängte unter dem 15. Mai Religionsverbot bis auf weiteres - praktisch bis Ende des Krieges. Nach Rückkehr in die Pfarrei Röhrenbach hat mich der Fürst von Fürstenberg, der diese Pfarrei zu vergeben hatte, als „untragbar" abgelehnt. Deshalb wurde ich von der Kirchenbehörde im Oktober 1940 als Pfarrverweser nach Wiesenbach versetzt.
2. Verhaftung in Wiesenbach
Schutzhaft in Heidelberg und im KZ Dachau
Mein Bericht an das Erzb. Ordinariat über mein Verhör am 2. Juli 1941in Wiesenbach mit drei Verhaftungs- gründen ist diesem Bericht angeschlossen. Am 20. August 1941 vormittags wurde ich von der Gestapo ins Gefängnis nach Heidelberg gebracht. Dort bekam ich eine Einzelzelle und wurde wie alle anderen Gefangenen behandelt. Meine Schwester durfte mich alle 14 Tagebesuchen und frische Wäsche bringen. Ohne weiteres Verhör wurde ich am 294H emm er8. Oktober mit mehreren anderen Gefangenen über Würzburg - Nürnberg mit Übernachtung in einem Viehwagen nach Dachau gebracht. Meine Angehörigen, ganz besonders meine Eltern waren über meine Verhaftung und Abtransport nach Dachau sehr bestürzt und mußten sich von Hitleranhängern viel Spott und Schadenfreude gefallen lassen. Meine Schwester Gertrud, die mir den Haushalt führte, hatte in diesen Monaten meines KZ-Aufenthaltes viel mitzumachen. In Dachau kam ich nach den bekannten Aufnahmeformalitäten in den Zugangsblock und nach etwa vier Wochen in den Priesterblock 26. Ich wurde dem Lager-, Straßen- und Stubendienst und Essentragen zugeteilt. In Holzpantoffeln im Winter die schweren Essenkübel tragen - war nicht leicht. Der Reinigungsdienst war oft mit den verschiedensten Schikanen verbunden.Den Angehörigen durfte man zweimal im Monat eine Karte oder Brief schreiben und auch so oft Post empfangen. Auf diesem Gebiet hatte ich keinerlei Schwierigkeiten oder Schikanen auszuhalten. Die Angehörigen durften monatlich 30,- RM schicken. Damit konnte man sich oder den Mitgefangenen, besonders den Polen, die diese Möglichkeit nicht hatten, zusätzliche Kost aus der Kantine, z. B. einged. Rote Rüben, Kürbis, Meerschnecken oder auch Zigaretten kaufen. Einmal hatte ich einen schmerzlichen Zusammenstoß mit einem SS-Mann bei einer Spind- und Bett-Kontrolle. Obwohl beides sauber und in Ordnung war, schrie er mich an und schimpfte mich aus, und ich mußte mich zum Strafrapport melden. Nachdem ich nach dem Appell mehrere Stunden auf die Strafe vergebens gewartet hatte, sagte der Blockälteste, die Strafe sei vergessen worden, aus unbekannten Gründen. Die Kameradschaft unter den Priester-Gefangenen war sehr gut und gab mir viel Trost und Kraft und Mut zum Durchhalten. Auf Block 26 durften die gefangenen Priester eine Kapelle einrichten aus primitiven Mitteln, und einer durfte die hl. Messe feiern, und diejenigen, die nicht zur Außenarbeit kommandiert waren, konnten daran teilnehmen. In den Freistunden konnten wir auch das Brevier beten. Beides war in diesen Verhältnissen eine Quelle des Trostes und Segens. Mit Gottes Hilfe und unter dem Beistand der geistlichen Mitbrüder konnte ich die Zeit meiner KZ- Gefangenschaft körperlich und geistig verhältnismäßig gut überstehen.
Entlassung
Am 11. Februar 1942, nach dem Frühappell, wurde ich mit einigen anderen Gefangenen herausgerufen und zum Schurhaus kommandiert und dort meine Entlassung mitgeteilt. Nachdem wir Entlassenen schriftlich uns verpflichtet hatten, nichts und zwar nicht das geringste von den KZ-Verhältnissen weiterzuerzählen, konnten wir unsere Zivilkleider und wenigen Habseligkeiten in Empfang nehmen, auch einige Quellkartoffeln als Proviant bekamen wir mit und wurden von einem bewaffneten SS-Mann zum Hauptbahnhof in München geführt. Von guten Bekannten bekam ich in München die erste normale Mahlzeit und kam dann kurz vor Mitternacht in Heidelberg-Hbf. an. Noch immer konnte ich nicht glauben, wirklich frei zu sein und nicht mehr unter SS- Kommando und - Zwang zu stehen. Die Freude meiner Angehörigen war unbeschreiblich groß. Meine Mutter betete an diesem Abend mit uns sechs Geschwistern zum Dank den Rosenkranz - zwei Brüder waren „im Feld". In dieser Nacht bekam die Mutter einen Schlaganfall und ist einige Tage darauf gestorben.
Friedrich Hemmer
Pfarrverweser
in Wiesenbach
Dekanat Heidelberg
An das
Hochw. Erzb.
Ordinariat
in Freiburg i./Brg.
Wiesenbach, den 8. Juli 1941. Verhör durch die geheime Staatspolizei
Am Mittwoch, den 2. Juli d. J., vormittags ½ 11 Uhr, wurde ich auf das Rathaus geladen. Dort erwarteten mich drei Beamte der geheimen Staatspolizei, die mich im Bürgersaal einem 1 ½ stündigen Verhör unterzogen.
Nach der genauen Feststellung der Personalien wurde ich gefragt, ob ich bei der kirchlichen Schulentlassungsfeier am 6. April d. J. das Katholikenlied von Frey durch die Kinder vortragen ließ und woher ich die Texte gehabt hätte. Darauf erwiderte ich, daß ich einen Gebetstext bei meinen übrigen Gebeten hatte, daß ich das die Kinder abschreiben und gemeinsam vorbeten ließ. Auf die Frage, ob ich nicht gewußt hätte, daß dieses Lied verboten sei, antwortete ich, daß es mir bis jetzt nicht bekannt war, daß auch Gebete in der Kirche verboten seien.
Das einzige in meinem Besitz befindliche Exemplar dieses Gebetes wurde nach dem Verhör von zwei Beamten im Pfarrhause feierlich abgeholt!
Zum zweiten Punkt wurde ich gefragt, ob ich davon Kenntnis gehabt hätte, daß am öffentlichen Gottesdienst polnische Zivilarbeiter teilgenommen hätten und daß diese Teilnahme verboten sei. Darauf gab ich zur Antwort, daß die Kriegsgefangenen nicht am öffentlichen Gottesdienst teilnehmen dürften, sei mir bekannt, daß aber die ausländischen Arbeiter dem Gottesdienst nicht beiwohnen dürften, darüber hätte ich noch keine Verordnung gelesen,und zudem würde ich die erst seit einigen Wochen hier beschäftigten Arbeiter nicht kennen, und es könne niemand von mir verlangen, daß ich vor dem Gottesdienst kontrolliere und, wenn solche Arbeiter da seien, dieselben aus der Kirche hinausjage. Zuletzt versprach ich, den Kirchendiener mit der verlangten Kontrolle zu beauftragen.
Im dritten Punkt wurde ich gefragt, ob und warum ich am Fronleichnamstag, dem 12. Juni, um 9 Uhr Gottesdienst gehalten hätte und ob mir die Verordnung des Führers bekannt gewesen sei. Auf die gestellten Fragen antwortete ich, daß ich am Fronleichnamstag den Gottesdienst um 9 Uhr gehalten habe und daß ich mit Rücksicht auf die Verordnung des Führers am vorhergehenden Sonntag von der Kanzel verkündet hätte, daß der Fronleichnamstag kein gesetzlicher Feiertag mehr sei, wer arbeiten wolle, dürfe arbeiten, und wer in den Gottesdienst wolle,dem sei Gelegenheit geboten, und mit Rücksicht auf den Wunsch einiger Männer, die ich vorher gefragt hatte, setzte ich den Gottesdienst auf 9 Uhr an. Daraus gehe ganz klar hervor, daß es mir vollständig fern lag, der Verordnung des Führers entgegenzuhandeln, zumal ja auch der Gottesdienst für Verstorbene auf Wunsch der Angehörigen an Werktagen schon zu späterer Stunde gehalten wurde. An den weiteren Grund, daß ja in jener vorher gehenden Nacht Fliegeralarm war, dachte ich im Augenblick des Verhörs nicht. In der Überzeugung, daß die gegebenen Antworten und Angaben sowohl der Wahrheit wie auch der Klugheit entsprechen, zeichnet ergebenst.
gez. Friedrich Hemmer, Pfarrverweser
Quelle: Bericht des Pfarrers Friedrich Hemmer, in: Freiburger Diözesan-Archiv 90, 1970, S. 293–296 (Originalbericht)
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